Der Symmetrielehrer
macht es dir schon aus? Also, bitte … Ich bitte dich in Gottes und Christi Namen … Weil Weihnachten ist …« – »Unter vier Augen, da haben Sie recht. O Du, dessen Namen ich nicht laut aussprechen will, gib mir Kraft!« Über den Körper des Türken zucken Krämpfe – er kann nicht. »Na schön, Gott mit dir, du bist frei!« seufzt Bartholomäus. »Ganz und gar?« Der Dieb lebt auf. »Ganz und gar«, stimmt Bartholomäus zu. »Für immer?« Der mutmaßliche Täter kann es nicht fassen. »Natürlich.« Der Dieb lässt sich auf die Knie nieder und küsst Bartholomäus die Hand; Bartholomäus beugt sich vor, um ihn aufzuheben – aber, nicht doch, nicht doch … und als er sich vorbeugt, flüstert der Dieb ihm blitzschnell und hitzig ins Ohr: »Ja, ich, ich habe dich bestohlen, dich habe ich bestohlen damals, damals habe ich dich bestohlen! Wie hätte ich dich auch nicht bestehlen sollen, wo du selbst mir gezeigt hast, wo!« Plötzlich gerät er in Zorn, springt von den Knien auf. »Du selbst, du selbst!« So umarmen und küssen sie sich und schluchzen einer an des anderen Schulter, endlich voll und ganz quitt. »Komm herein zu uns, das feiern wir!« fordert der glückliche Bartholomäus den neu gewonnenen Bruder auf, und der Türke will eigentlich ablehnen, hat aber schon zugestimmt, doch auf einmal – das Tännchen … Samwel, Rollstuhl, Samwel, Rollstuhl, Tännchen … Bartholomäus, verdutzt: »Erlaube mal, aber hast du Tännchen samt Rollstuhl denn nicht bei mir – ausgeliehen?« Der Dieb, laut lachend: »Ach woher! Also, von wegen! Also,
das nun wirklich nicht. Das Tännchen hat mir mein Vetter zweiten Grades gebracht, der betreibt einen Tannenbaum-Basar. Und den Rollstuhl … den Rollstuhl … besser, Sie fragen nicht, was mich der gekostet hat! Mir haben sie gerade erst auf der Straße hundert Franken dafür geboten!« Der Dieb, vielmehr, nun schon nicht mehr Dieb, sondern Türke, sogar nicht mehr Türke, sondern der Bartholomäus' Herzen teure Samwel, ist kurz davor, in Tränen auszubrechen über die Kränkung und den unrechtmäßigen Verdacht, fast wäre er gegangen vor lauter Kränkung, so dass Bartholomäus sich bei ihm sogar ein bisschen entschuldigen muss …
Und so brennt nun das Tännchen im Lichterschmuck; Forceps hat sehr geschickt den Verband hingekriegt, und Barthelchen der Allerjüngste rollt die Omama im nagelneuen Rollstuhl durch den Flur, und beide kreischen vor Vergnügen: sowohl das Bein ist so gut wie gesund als auch die Frisur der Königin ungeheuerlich; der ältere Sohn, der nach gar nichts riecht, läuft mal aus dem Zimmer, Maggie hinterdrein, mal läuft sie vor ihm davon unter dem prüfenden Blick der Herzogin, mal kommen beide zurück; aus der Küche zieht der Duft einer Pirogge, die Maggie bäckt, mit Dieb und Brigadier als Handlanger – wie immer hat der Türke zuviel Gewürze hineingetan …
Und so sind nun alle versammelt, um die Pirogge und um das Tännchen, und Bartholomäus überlegt, ob das sein könne, soviel Glück auf einmal … es graust ihn sogar. »Übrigens«, verkündet Bartholomäus, bekannt für sein enzyklopädisches Wissen, »nach dem östlichen Kalender bricht diesmal das Jahr der Katze an!« Jetzt wollen alle Wassili den Blinden fangen, um ihn auf den Ehrenplatz zu erheben. Die Herzogin streichelt den Kater, und Forceps streichelt den Kater, und Barthel der Allerjüngste streichelt den Kater, und Bartholomäus der Mittlere streichelt den Kater, und Maggie streichelt den Kater, und die Königinomama streichelt den Kater … und König Bartholomäus findet keinen Platz mehr für seine Hand, denn alle streicheln den Kater: Forceps streichelt den Kater und meint, er streichle die Hand der Herzogin, ahnt jedoch nicht, dass er
die Hand der verwitweten Königinmutter streichelt, die wiederum meint, ihr Lieblingssohn Bartholomäus streichle ihr die Hand, während Bartholomäus der Mittlere den Kater streichelt und meint, er streichle Maggie die Hand, während er Forceps' Pranke streichelt, während der Kater längst geflüchtet ist, während Maggie – aber wo ist Maggie? Bartholomäus spürt auf einmal, dass ihm jemand zärtlich durch die Haare fährt, aber es ist nicht seine Mutter und noch weniger die Herzogin … Bartholomäus lächelt glücklich, doch da überschwappt ihn eine neue Woge der Verzweiflung und Furcht vor Nichtwiedergutzumachendem, und er entzieht sich leise der Liebkosung, als ob er etwas vergessen hätte, als ob er wegen
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