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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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japanischen Kü
che [ 37 ] .) Der erste Gedichtband, unter diesem Pseudonym publiziert, brachte ihm Erfolg bei erlesenen Lesern und wohlwollende Rezensionen – er wurde zur »Entdeckung«.
    So wurde Urbino zu Ris.
    Eines schönen Tages (in unserem Jahrhundert sucht man sich dafür schöne Tage aus, schlechtes Wetter ist altmodisch), eines solchen Tages und einer solchen Stunde hatte sich Ris' Leben, welches ihm trotz allem als Leben erschienen war, das heißt, als etwas, das ganz ohne Zweifel sich selbst gehört, als Nichtleben erwiesen, das heißt, nicht als Leben in seiner beständigen und unbedingten Bedeutung, sondern lediglich als Mittel zum Zweck, um eine bestimmte, weitere Zeitspanne zu durchleben (zu über-leben); also, das Leben war abgerissen, erwies sich als Stumpf, hinzu kam die tragische Empfindung, es setze sich im Leeren fort gleichsam als punktierte Linie; und diese nichtexistente Fortsetzung des abgerissenen Stumpfes tat weh – ein besonderer Fall von Kausalgie, von Schmerz in verlorenen Gliedmaßen.
     
    Unfähig, Dikas Tod zu überleben, unter dem Druck des ständig zunehmenden Schuldgefühls, hatte er sich slawisch maßlos dem Trunk ergeben, wusch und rasierte und schor sich die ganzen vierzig Trauertage, dann auch das ganze Jahr nicht, so dass er regelrecht vergaß, wer er war. Dann vergaßen ihn auch die Freunde. Zuletzt war Bashō sein einziger Zechkumpan. So kam er unter dem Spitznamen Bashō zu Ruhm. Auf der Straße drehte man sich schon nach ihm um.
    Dafür erinnerte sich nicht einmal sein Verleger, dass es einen Vanoski gegeben hatte.
    So erkannte er schließlich, dass Ruhm nicht durch Arbeit errungen, sondern gratis erlangt wird.
    Den Bart und die schulterlangen Haare wollte er beibehal
ten, als die leichteste Methode, seine Vergangenheit zu überwinden.
    Es ging aufwärts mit ihm: ein überraschender schöpferischer Höhenflug, überraschender Erfolg bei den Frauen, eine überraschende Passion fürs Umherschweifen … Halt machte er erst in Neuseeland, wohin er aus Wladiwostok seinem einstigen russischen Kneipenfreund Anton hinterhergezogen war, der seinerzeit der Expedition von Robert Scott zum Südpol hinterhergezogen war. Ihnen weiter auf die »Pinguininsel« zu folgen, versagte er sich entschieden, ihn verlangte es nach etwas Wärmerem und weniger Bewohntem.
    In einer geschlossenen Heilanstalt, wo er versuchte, die ihn verfolgenden »Todesgerüche« loszuwerden, händigte ihm eine Baronesse, zugleich Psychiater, einen Empfehlungsbrief für eine »praktisch unbewohnte« Insel aus.
    »Dort wird es Ihnen gefallen«, sagte sie, »bloß sollten Sie sich über nichts wundern.«
    So mochte Ris wieder zu Urbino werden.
     
    In Taunus, quasi einem Fischerstädtchen an der Küste, traf er, wie ihm vorgezeichnet, den Midshipman Happenen, einen geradezu hollywoodesken Skandinavier mit Narbe quer über Stirn und Wange, das lange weißblonde Haar von einem Piratentüchlein zusammengehalten; er zimmerte unweit des Piers an einer Jacht und gefiel Urbino gleich in seiner strengen Ungesprächigkeit und Schönheit. Mit Zimmermannsblick maß er Urbino, als wäre er Baumaterial.
    »Sechs Fuß weniger einem Zoll«, sagte er.
    »Aha, Sie zimmern hier auch Särge?« Urbino versuchte zu scherzen und seinerseits die Größe des Midshipman abzuschätzen, der ihn in jeder Hinsicht überragte (gewiss war er einen Zoll größer als sechs Fuß, von den Pfunden ganz zu schweigen).
    »Wieso, das ist keine Kunst …« Der Midshipman ließ die Muskeln an den steilen Wangenknochen spielen und nahm ihn mit zu seinem Boot. »Wer sonst sollte diese Arbeit hier machen? Übrigens sterben sie hier auch selten. Ertrinken höchstens.«
    Schweigend ruderte er über den Sund. Und legte an einer Sandbank an. Ein Hund stürzte ihnen freudig entgegen, bespritzte sie von Kopf bis Fuß. Sein Verhalten passte nicht zu seinem Aussehen: von unmäßiger Größe und Farbmischung, irgendwas zwischen Wolf und Schaf, ein Hund der Baskervilles, winselnd wie ein Welpe.
    »Na, na, beruhige dich, Marleen!« befahl der Midshipman, und die Hündin gehorchte sofort, sie jaulte nur. »Begrüße den Gast.«
    ›Er ist hier wie zu Hause‹, konnte Urbino noch denken, da hatte ihn der Skandinavier samt Rucksack gepackt, trug ihn leicht wie eine Feder, wie man so sagt, durchs Wasser und stellte ihn ans Ufer.
    »Zeig ihm hier alles«, befahl er der Hündin, und bevor Urbino gekränkt sein oder bezahlen konnte, ruderte er schon zurück.
    So war

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