Der Täter / Psychothriller
widerhallten.
Als sie das Büro betrat, stand Lasser an seinem Fenster und starrte über die Stadt.
»Wissen Sie, während der Ausschreitungen habe ich genau hier an diesem Fenster gestanden, und ich konnte bis zu dem Reifen-Discounter auf der Twenty-first Avenue sehen. Ich hatte ein Fernglas und konnte sogar erkennen, wie die Kerle den Laden in Brand gesteckt haben. Sie kamen seitlich um das Gebäude gerannt, dann blieben sie stehen, stapelten einen Haufen Abfall und schütteten Benzin darüber. Wie eine geistesgestörte Bande übler Großstadtpfadfinder.« Er zeigte hinaus und lachte ohne irgendeinen ersichtlichen Grund. »Es war vier Blocks entfernt, und es kam mir vor wie im Fernsehen.«
Er wandte sich vom Fenster ab.
»Absolut verrückte Sache«, fuhr er fort. »Diese ameisengroßen Gestalten, die irgendwo da unten herumkrabbelten und dieses riesige alte Lagerhaus abfackelten. Der Kasten hat zwei Tage lang gebrannt. Und da stehe ich als Bezirksoberstaatsanwalt für Kapitalverbrechen an meinem Fenster und sehe ohnmächtig zu.«
Sie nickte und dachte: Irgendwann kommt er auf den Punkt.
»Ist so, wie wenn man Zeuge eines Unfall wird, nur schlimmer, weil das kein Unfall war, sondern ein Verbrechen. Bedeutend schlimmer. Mutwillig und zerstörerisch. Kein Schicksalsschlag, die Tat von Menschen.«
Er trat vom Fenster zurück.
»Schicksalsschläge überlassen wir den höheren Mächten, Espy. Aber die Taten von Menschen sind der Grund, weshalb wir hier sind. Das ist unser Metier.« Er lächelte. »Ich klinge wie ein Philosoph«, meinte er.
»Vor kaum einer Stunde hat Tommy Alter dasselbe zu mir gesagt.«
Lasser grinste. »Tatsächlich? Dann muss wohl was dran sein.«
Er trat hinter seinen Schreibtisch. Er hatte sein Jackett ausgezogen, und sie sah, dass sein offensichtlich maßgeschneidertes Hemd tailliert war. Als Lasser eine Kopie des Berichts zum Lügendetektortest hervorzog, äußerte sie nichts.
»Ich hasse diese Dinger«, bemerkte er und ließ den Ordner auf den Tisch fallen, als sei er infektiös. Die Seiten flatterten einen Moment. »Nun, Espy, fühlen Sie sich auch so, als stünden Sie an einem Fenster und wüssten, dass dort jeden Moment ein Verbrechen geschieht, ohne dass Sie irgendetwas daran ändern können? Wenn dieser Abschaum Leroy Jefferson ungestraft davonkommt, dann ist das ein Verbrechen. So wahr ich hier stehe, ist das nichts anderes als diese Brandstiftung von damals. Als ob wir selbst das Streichholz an entflammbares Material halten würden. Sicher, er mag eine Weile schwelen und glimmen, vielleicht eine Woche, einen Monat, vielleicht sogar ein halbes Jahr. Aber dann geht er hin und tut genau das, was er laut diesem verdammten Bericht diesmal nicht getan hat: Er bringt eine harmlose alte Dame um. Sie verstehen, Espy?«
»Ja, Sir.«
»Sie sind diesem Mr.Jefferson begegnet. Wie lautet Ihre Prognose? Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass er zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft wird?«
Diese letzten Worte trieften vor Sarkasmus.
»Eher gering, Sir.«
Abe Lasser brach in schallendes Gelächter aus. »Gering. Ja, gelinde gesagt. Tendiert wohl eher gegen null.«
Er setzte sich und wippte nach hinten. »Vielleicht haben wir ja Glück, Espy. Vielleicht bringt der Mistkerl Leroy Jefferson ja irgendeinen anderen Schleimscheißer um statt ein gottesfürchtiges, unbescholtenes Mitglied unserer Gesellschaft, auch wenn ich das eher bezweifle, da der Mistkerl mit Vorliebe kleine, alte Damen ausraubt und ich den Verdacht hege, dass er sich so schnell wie möglich wieder diesem Erwerbszweig zuwenden wird.«
Er schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu: »Selbst wenn er dank Ihrer Kaliber fünfundzwanzig künftig humpelt. Also, sagen Sie’s mir, Espy, haben Sie das Gefühl, dass das Glück auf Ihrer Seite ist? Gibt es irgend so ein kleines hispanisches Heinzelmännchen, das die Geschicke der Familie Martinez in eine gute Richtung lenkt? Oder vielleicht eine gute Fee, die Simsalabim sagt, ihren Zauberstab schwingt und schwuppdiwupp fällt unser Leroy Jefferson über seinesgleichen her, statt dass jemand um seine geliebte Großmutter trauern muss?«
»Ich glaube nicht, Sir.«
Lasser drehte sich in seinem Sessel. »Was für ein Jammer.«
Er schwang zurück und beugte sich über den Schreibtisch, um mit dem Finger auf den Bericht zu tippen. »Eins muss man Tommy Alter lassen. Er weiß, was er tut. Lässt den Test von unserem eigenen Mann durchführen. Ziemlich ausgebufft. Muss ich mir
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