Der Täter / Psychothriller
Martinez.«
Wieder breitete sich Schweigen aus.
»Wieso sagen Sie das?«
»Weil eine Frau namens Kübler, die als ›das blonde Gift‹ bekannt war und die mehr oder weniger das Gleiche tat wie der Schattenmann, bei ihrer Verhaftung und im Prozess auf die Frage nach dem Verbleib der anderen Greifer ausgesagt hat, sie seien mit den letzten Transporten nach Osten verschleppt worden. Sie wissen, was das bedeutete, Miss Martinez? Das hieß, sie kamen um.«
»Aber Sie haben Erkenntnisse über diese Abteilung?«
»Ja, eine Menge Informationen verdanken wir den Prozessakten zum Fall Kübler, über die wir noch gar nicht lange verfügen, denn sie kam in der DDR vor Gericht. Viele Namen, die wir bis dahin nicht kannten. Ein paar andere Dokumente haben wir aus privater Hand. Allerdings sind Gestapo-Akten sehr rar und kostbar, Miss Martinez. Sehr unvollständig, leider Gottes. Aber wieso interessieren Sie sich für diesen Mann, der auf jeden Fall tot sein muss? Sie sind weder Historikerin noch Journalistin.«
»Weil ich nicht glaube, dass er tot ist.«
»Der Schattenmann am Leben? Haben Sie dafür Beweise?«
»Ich habe Tote, Miss Wassermann. Menschen, die glaubten, ihn hier bei uns gesehen zu haben, und die danach ermordet wurden.«
»Menschen? Wer sollte den Schattenmann wiedererkennen können?«
»Eine Handvoll Überlebende.«
Espy Martinez hörte, wie die junge Frau nach Luft schnappte. Eine Weile war es still, dann sagte sie: »Ich muss mehr wissen. Ich werde Ihnen nach besten Kräften helfen, aber wir müssen mehr darüber wissen. Falls dieser Mann noch lebt, dann muss er einer Bestrafung zugeführt werden. Das ist wichtig, Miss Martinez. Unabdingbar.«
»Namen. Ich brauche Namen. Wenn wir herausfinden können, wer er früher war, dann vielleicht auch, wer er heute ist.«
»Ja, ja«, antwortete Wassermann. »Ich kümmere mich augenblicklich darum. Ich rufe zurück, sobald ich etwas für Sie habe. Namen.«
Sie legte auf, und Espy Martinez hatte das Gefühl, dass sie endlich gewisse Fortschritte machte. Sie überlegte, ob sie Walter Robinson anrufen sollte, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen, beschloss jedoch, damit zu warten, bis sie etwas Konkretes vorzuweisen hatte. Und so wanderte sie stattdessen rastlos in ihrem kleinen Büro hin und her und blätterte zwischendurch in anderen unerledigten Fällen, die sie vernachlässigt hatte. Da sie das nur noch nervöser machte, schob sie diese Akten beiseite, blieb an ihrem Schreibtisch sitzen und starrte auf das Telefon. Die Zeit zerrte an jeder Faser ihrer Nerven.
Es musste in Wien bereits nach ein Uhr nachts sein, als es endlich in Miami klingelte.
»Miss Martinez?«
»Miss Wassermann?«
»Ich habe einige Namen für Sie, aber ich muss Sie zuerst um ein Versprechen bitten.«
»Worum geht es?«
»Dass Sie, falls der Schattenmann tatsächlich noch am Leben ist, uns Ihre Erkenntnisse mitteilen. Nicht nur, wer er ist, sondern auch, wie er 1944 dem Tod entrinnen konnte und wie er es in die USA geschafft hat. Sämtliche Einzelheiten seiner Vergangenheit, Miss Martinez. Jedes Detail ist für uns von Interesse.« Sie legte eine Pause ein und fuhr dann fort: »Er hat viele in den Tod getrieben, Miss Martinez. Und nach unserer Überzeugung hat er einige selbst ermordet. Es gibt viele, die erleben wollen, dass dieser Mann seine gerechte Strafe bekommt.«
»Genau das habe ich vor, Miss Wassermann«, erwiderte Martinez.
»Möglicherweise verstehen wir nicht dasselbe unter Gerechtigkeit.«
»Ich werde Ihnen sämtliche Informationen zukommen lassen, über die ich selbst verfüge, solange ich damit nicht mein eigenes Verfahren gegen ihn gefährde. Sie interessieren sich für die Morde vor fünfzig Jahren. Ich will ihn wegen mehrerer Morde vor Gericht sehen, die hier und jetzt geschehen sind.«
»Verstehe.«
Wieder zögerte die Frau. »Es ist ein seltsames Gefühl, Miss Martinez, wenn man endlich einem von diesen Männern auf die Spur kommt. Meistens SS . Lagerkommandanten. Sie verbreiten eine besondere Kälte. Vielleicht rührt das daher, dass sie so lange mit solch kolossalen Lügen gelebt haben, dass sie am Ende glauben, sie hätten nichts falsch gemacht …«
Die Frau schwieg einen Moment, dann sagte sie zum Abschluss: »Ich gebe Ihnen jetzt fünf Namen aus unseren Archiven, mehr kann ich auf die Schnelle nicht tun. Aber ich arbeite weiter daran. Zwei Männer hatten einen Rang inne, der dem eines Majors entspricht, das heißt, sie müssen 1943 um die dreißig
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