Der Täter / Psychothriller
Nazis jagen. Die Leute, die sich nicht allzu sehr dafür interessieren, wie der Bundestag Verbrechen definiert. Ich meine, da gibt es Leute, die der Meinung sind, dass die Verbrechen von damals immer noch auf die Tagesordnung der Welt gehören.«
»Wen haben Sie da im Auge?«
»Sie haben diese Nummer nicht von mir«, sagte der Mann. »Ich kenne Sie nicht, und ich werde es leugnen, falls es einmal zur Sprache kommen sollte. Politik, wissen Sie. Wir arbeiten mit den Deutschen zusammen. Sind die besten Freunde, in fast jeder Hinsicht. Aber wenn es um ehemalige Nazis geht, werden sie sehr empfindlich. Sind nicht gerade auskunftsfreudig. Besonders, wenn die Bitte aus dem Ausland kommt. Lassen sich nicht gerne an all diese Dinge erinnern. Besonders diesen alten Herrn mögen sie nicht besonders. Er und seine Leute gemahnt sie immer wieder an ihre, wie soll ich sagen, dunkle Seite.«
»Die Nummer?«
»Das ist im Grunde alles, was sie tun. Daran erinnern. Scheint mir eine ehrenvolle Sache zu sein, aber natürlich hat jeder, der einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, und besonders, wenn es sich um das größte Verbrechen aller Zeiten handelt, ein gutes Gedächtnis.«
»Wen meinen Sie?«
»In Wien. Dort gibt es das Wiener Wiesenthal-Institut. Besteht im Grunde nur aus dem alten Herrn, der Gott sei Dank ein phänomenales Gedächtnis hat, und dazu ein paar engagierten Leuten, die für ihn arbeiten. Wenn irgendjemand weiß, wer 1943 für diese Abteilung in Berlin zuständig gewesen ist, dann die. Und wenn die hören, wonach Sie suchen, dann helfen die Ihnen umso lieber. Dann haben Sie vielleicht Glück und bekommen ein oder zwei Namen. Danach können Sie sich wieder bei mir melden, und ich kitzle meinen Freunden bei der Polizei die Adresse raus.«
Der Verbindungsmann diktierte ihr eine Nummer und legte auf. Uns alle verfolgen die Erinnerungen bis in unsere Träume, dachte Espy Martinez, und sie fragte sich, wieso die Welt so erpicht darauf war, sie zu vergessen. Einen Moment musste sie an ihren ermordeten Bruder denken und daran, dass sie niemals vergessen würde, was ihm angetan worden war, egal, was das Leben ihr noch brachte. Doch im nächsten Augenblick drängte sich ihr die Frage auf, ob das eigentlich so klug war. Und da sie nicht in der Verfassung war, dem Problem weiter auf den Grund zu gehen, starrte sie auf die Nummer und nahm den Hörer ab.
Wie bei den meisten Auslandsgesprächen dauerte es eine Weile, bis sie durchkam, und dann sah sie sich gezwungen, eine Nachricht zu hinterlassen. Trotz der Abendstunde, die in Wien aufgrund der Zeitverschiebung herrschte, dauerte es nur eine Stunde, bis jemand zurückrief. Der Jemand war eine junge Frau, vielleicht im gleichen Alter wie sie selbst. Sie sprach ein Englisch, das von Bildung zeugte und mit einem Akzent versehen war, den Espy Martinez nicht einordnen konnte. Deutsch war es nicht. Die junge Frau stellte sich als Edie Wassermann vor und sagte, sie sei eine Mitarbeiterin des Instituts. Der Namensgeber, fügte sie im selben Atemzug hinzu, sei gerade zu einer Ehrung in Israel und daher nicht zu sprechen.
»Aber an welchen Auskünften sind Sie interessiert, Miss Martinez?«
»Ich versuche, jemanden zu finden, der 1943, während des Krieges, in Berlin in einer bestimmten Abteilung gearbeitet hat.«
»Haben Sie die Abteilungsnummer?«
»Ja, wir vermuten es zumindest. Abteilung einhunderteins, Geheime Staatspolizei …«
»Die Gestapo war besser darin, Akten zu vernichten, als viele andere Organisationen. Zum Beispiel die SS . Deren Arroganz stand offenbar ihrer Grausamkeit in nichts nach. Ja. Sie interessieren sich also für die Gestapo im Berlin von 1943. Das ist schon seltsam, dass eine Staatsanwältin aus Miami sich für eine Zeit interessiert, die lange vor ihrer Geburt liegt, und dann auch noch für die Gestapo in Berlin. Das haben wir wirklich nicht alle Tage. Was ist das für eine Abteilung?«
»Der Jüdische Fahndungsdienst«, antwortete Espy Martinez.
Zunächst herrschte in der Leitung tiefes Schweigen. Nach einer Weile erwiderte die Frau bedächtig: »Ja, wir wissen von dieser Abteilung. Die Greifer?«
»Genau.«
»Eine Staatsanwältin aus Miami, Florida, in den Vereinigten Staaten, ruft uns aus heiterem Himmel an, weil sie sich für die Greifer interessiert? Das ist höchst faszinierend. Was wollen Sie denn wissen?«
»Ich brauche Informationen über jemanden, der sich der Schattenmann nannte …«
»Der Schattenmann ist tot, Miss
Weitere Kostenlose Bücher