Der Täter / Psychothriller
Geringsten im Klaren zu sein, was sie sagen sollte.
Es klingelte ein halbes Dutzend Mal, bevor sich jemand meldete. »Hallo?«
»Hallo. Ich versuche, einen Herrn namens Klaus Wilmschmidt zu erreichen. Mit wem spreche ich denn?«
»Wie bitte? Nicht sprechen Englisch. Einen Moment …«
Es war still in der Leitung, dann fragte eine zögerliche, jüngere Stimme: »Hallo? Worum geht es bitte?«
»Sprechen Sie Englisch?«
»Ja. Wer ist denn da?«
»Mein Name ist Martinez. Ich bin Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft des Dade County in Miami, Florida. Ich stecke mitten in einer Morduntersuchung, und ich glaube, ein gewisser Klaus Wilmschmidt kann uns mit wichtigen Informationen helfen. Ich würde ihn gerne sprechen.«
»Ja, Sie sind hier richtig. Ich bin seine Tochter. Aber Mord? Wie soll ich das verstehen? Er war nie in den Vereinigten Staaten.«
Espy Martinez hörte, wie jemand im Hintergrund auf Deutsch eine Frage stellte und die Tochter ihn um Schweigen bat.
»Es handelt sich um Informationen aus der Kriegszeit, vor fünfzig Jahren. Über die Gestapo-Abteilung einhunderteins in Berlin. Hat Ihr Vater da gearbeitet?«
Es kam keine Antwort.
»Miss Wilmschmidt?«
Immer noch war es in der Leitung still.
Sie hörte einen Wortschwall auf Deutsch, einen aufgeregten Schlagabtausch, bevor die Tochter antwortete: »Die Zeiten sind vorbei. Er kann Ihnen nicht helfen. Ich lasse das nicht zu.« Die Stimme der Frau zitterte.
Espy Martinez sprach schnell: »Ich versuche, etwas über einen Mann herauszufinden, der in dieser Abteilung gearbeitet hat. Einen Mann, der möglicherweise heute Morde begangen hat. Es ist wichtig. Ihr Vater könnte uns Informationen liefern …«
»Er wird nicht über diese Zeiten reden. Das ist alles vorbei, Miss … Ich habe Ihren Namen nicht verstanden …«
»Martinez.«
»… Miss Martinez. Er ist alt, und das ist längst Geschichte, er hat ein anständiges Leben geführt, Miss Martinez. Er war Polizist und ein anständiger Mensch. Ich werde ihn nicht an diese alten Zeiten erinnern. Er ist alt und krank, Miss Martinez. Er ist krank und hat es verdient, seinen Lebensabend in Ruhe zu verbringen. Daher werde ich Ihnen nicht helfen, nein.«
»Miss Wilmschmidt, bitte. Nur eins. Bitte fragen Sie ihn, ob er von jemandem wusste, den man den Schattenmann nannte. Falls nicht …«
»Das werde ich nicht tun. Er ist krank. Er hat seine Ruhe verdient.«
»Miss Wilmschmidt …«
Bevor sie ihre flehentliche Bitte zu Ende bringen konnte, hörte sie wieder die barsche Stimme im Hintergrund, die in forderndem Ton etwas fragte, dann einen schrecklichen Hustenanfall. Sie hörte, wie die junge Frau eine verärgerte Antwort gab, darauf folgte ein weiteres hitziges Wortgefecht, bevor die Tochter sich erneut am Telefon meldete.
»Wie war der Name, den Sie erwähnten, Miss Martinez?«
»Der Schattenmann.«
Martinez hörte, wie sich die Frau vom Telefon abwandte und den Namen weitergab. Es folgte Schweigen. Nach einer längeren Pause hallte erneut Deutsch zu ihr herüber. Schließlich war die junge Frau wieder am Apparat. Ihre Stimme klang seltsam unschlüssig, als hätte sie etwas gesehen, das sie sich nicht erklären konnte und das ihr Angst einjagte.
»Miss Martinez?«
»Ja?« Sie hörte, wie die Tochter des Polizisten gegen einen Schluchzer ankämpfte.
»Mein Vater sagt, er wird mit Ihnen reden, wenn Sie herkommen, so dass er Sie von Angesicht zu Angesicht sehen kann.«
»Dann weiß er etwas?«
»Ich bin überrascht. Er hat nie über die Zeit gesprochen, jedenfalls nicht mit …« Sie hielt inne, schnappte nach Luft und fuhr dann fort: »Sie kommen her? Er kann nicht reisen. Dafür ist er viel zu krank. Aber er wird mit Ihnen reden.«
Wieder legte die Frau eine Pause ein.
Im Hintergrund war der nächste Wortwechsel zu hören.
»Er hat etwas höchst Merkwürdiges gesagt.« Ihre Stimme zitterte.
»Was denn?«, fragte Espy Martinez.
»Er meint, er hätte seit fünfzig Jahren jeden Tag auf diesen Anruf gewartet.«
[home]
23
Der Mann, der einstmals das Töten lehrte
W alter Robinson stand nur einen Meter von den Leichen eines älteren Mannes und einer älteren Frau entfernt. Sie lagen in einer teuren, gepflegten Wohnung mit Meeresblick Seite an Seite auf ihrem Bett. Der Mann trug Smoking, die Frau ein etwas altmodisches, langes Abendkleid aus eierschalenweißem Satin, und die beiden wirkten wie ein Paar, das gerade von einer Silvesterparty nach Hause gekommen ist. Die Frau war
Weitere Kostenlose Bücher