Der Täter / Psychothriller
und bösen Dingen nachgeht. Jemand, den der Tod fasziniert. Damit habe ich Tag für Tag gerechnet. Wenn das Telefon klingelte, dachte ich, das muss es sein. Wenn es an der Tür klopfte, dachte ich, jetzt haben sie mich also doch noch gefunden und wollen etwas von mir erfahren. Miss Martinez, ich wusste, jemand würde kommen.«
»Woher?«
»Weil ein Mann wie der Schattenmann nicht in aller Stille leben kann.«
»Haben Sie ihm das beigebracht?«
Klaus Wilmschmidt starrte sie an. Dann streckte er langsam die Hand nach seinem Nachttisch aus, öffnete die Schublade und zog einen langen, dünnen Säbel mit schwarzem Griff heraus, den ein Totenkopf schmückte. Er hielt die Klinge vorsichtig und strich mit dem Finger über den Stahl.
»Der wurde nur für festliche Anlässe benutzt, Miss Martinez. Das Messer eines Mörders war dicker und hatte eine Doppelklinge, mit einem breiteren Griff, so dass man es in der Hand leichter drehen konnte.«
Er starrte sie an.
»Wissen Sie, wie viele unterschiedliche Methoden es gibt, einen Menschen mit einem Messer zu töten, Miss Martinez? Wussten Sie, dass es von hinten anders ist …« Er bewegte die Klinge in der Luft von links nach rechts. »… als von vorn?« Er stieß das Messer plötzlich nach oben und drehte es, während es zwischen ihnen die Leere aufschlitzte.
Sie sagte nichts, und er lachte wieder.
»Macht einen das nicht zu einem besseren Polizisten, Miss Martinez?«
»Was?«
»Je mehr Sie über den Tod wissen, desto besser sind Sie darin, ihn aufzuklären. Habe ich nicht recht? So war es bei mir. Und bei vielen anderen wie mir. Ich vermute, Sie kennen einige Menschen wie mich, Miss Martinez. Es ist nur nicht immer so angenehm, es zuzugeben.«
Wieder lachte er.
»Sie halten mich sicher für einen bösen alten Mann«, fuhr er fort. Als seine Tochter mit der Übersetzung zögerte, brummte er sie an und gestikulierte mit dem Messer. »Und vielleicht bin ich das auch. Aber ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, über den Schattenmann, dann mögen Sie sich Ihren eigenen Reim darauf machen.«
»Vielleicht sollte ich Ihnen besser nur Fragen stellen …«, begann Martinez, doch als sie den funkelnden Blick des alten Mannes sah, verstummte sie. Die Tochter brachte ein paar Worte auf Deutsch heraus, stockte aber mitten im Satz.
»Ich erzähle euch jetzt die Geschichte«, erklärte er, dann griff er nach der Sauerstoffmaske, stülpte sie sich übers Gesicht und atmete mehrfach tief ein.
»1941 wurde ich in die Abteilung einhunderteins versetzt, nachdem ich gerade zum Feldwebel befördert worden war. Feldwebel! Nicht schlecht für den Sohn eines Kohlenhändlers, dessen Frau anderen Leuten die Wäsche machte, damit wir über die Runden kamen. Diese Leute, meine Eltern – meine Tochter weiß nichts von ihnen, weil sie 1942 bei einem Luftangriff ums Leben gekommen sind.«
Der alte Mann starrte seine Tochter an.
»Du weißt, was Seide ist«, konstatierte er in scharfem Ton. »Seide und ein Mercedes, wegen deiner internationalen Bank. Du bist mit Geld vertraut. Wir kannten nichts von alledem! Ich bin in armen Verhältnissen aufgewachsen und werde arm sterben!«
Die Tochter übersetzte diesen Teil nicht, dafür sprang Schultz im Flüsterton ein. Espy Martinez sah, wie die Tochter schmerzlich das Gesicht verzog, und sie wusste, dass es sich hierbei um ein äußerst heikles Thema zwischen den beiden handelte.
»Das ist dir egal«, fuhr der alte Nazi fort, »also ist es mir auch egal.« Er wandte sich von seiner Tochter ab und sah wieder Espy Martinez an.
»Damals liefen die Transporte ununterbrochen. Tägliche Razzien, manchmal sogar zwei an einem Tag.«
»Was für Razzien?«
»Juden. Transporte in den Osten. In die KZs.« Er lächelte. »Diese Züge waren immer pünktlich.«
Espy Martinez versuchte, sich keine Gefühle anmerken zu lassen. »Der Schattenmann?« Klaus Wilmschmidt wandte sich nur einen Moment ab und starrte zum Fenster, auf die Scheiben.
»Ich kann nichts sehen«, sagte er bitter. »Ich liege hier, und das Einzige, was ich sehen kann, ist eine Ecke vom Nachbarhaus und ein kleiner Ausschnitt vom Himmel dahinter. Es kommt kein Licht herein.« Die letzten Worte sprach er hastig, und als erneut sein Atem in der Brust rasselte, griff er nach der Maske.
Dann wandte er sich wieder Espy Martinez zu.
»Der Schattenmann war im Büro des Majors. Ich wurde reingerufen …«
Auf seinem Bett ruckte der alte Mann in eine Stellung, die entfernt an Strammstehen
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