Der Täter / Psychothriller
befindlichen Papieren. Es dauerte nicht lange, und sie murmelte: »Über einhundert Personen haben die Genehmigung, sich die Bänder anzusehen.«
Während sie weitersuchte, fragte Simon Winter: »Gibt es ein bestimmtes Verfahren, um diese Genehmigung zu bekommen? Ich meine, überprüft jemand die Angaben dieser Leute?«
»Ja und nein«, antwortete die junge Frau. »Wenn die Qualifikationen in Ordnung scheinen, dann ist die Genehmigung eher eine Routinesache. Der Forscher muss dann eine Erklärung abgeben, weshalb er die Videos braucht, und angeben, in welcher Weise er sie verwenden wird. Außerdem muss er eine Verzichtserklärung und eine Diskretionsklausel unterschreiben. Es ist streng verboten, diese Erinnerungszeugnisse kommerziell zu verwerten. Vor allem aber wollen wir die Revisionisten draußen halten.«
»Die was?«, hakte Robinson nach.
»Die Leute, die den Holocaust leugnen.«
»Sind die nicht ganz dicht?«, platzte Robinson heraus. »Ich meine, wie kann jemand …«
Esther Weiss hatte einen kleinen Ordner aus Pappe in der Hand. Sie sah zu ihnen auf. »Es gibt viele, die versuchen, die Existenz des größten Verbrechens in der Menschheitsgeschichte zu leugnen, Detective. Leute, in deren Augen die Gaskammern Entlausungsschleusen waren oder die Öfen zum Brotbacken und nicht für Menschen gedacht waren. Für manche Leute war Hitler ein Heiliger und all die Erinnerungen an seine Schreckensherrschaft nichts weiter als eine einzige große Verschwörung.« Sie holte tief Luft. »Für jeden vernünftigen Menschen ist das verrückt, aber so einfach liegen die Dinge nicht, das verstehen Sie doch sicher, Detective?«
Tat er nicht, doch er verkniff sich eine Antwort.
Esther Weiss legte sich kurz die Hand an die Stirn, als wollte sie die Augen vor einem unangenehmen Anblick abschirmen. Dann reichte sie die Mappe Simon Winter.
»Das ist der Mann, der Ihrer Zeichnung ähnelt«, sagte sie.
Der alte Detective öffnete die Akte und zog mehrere Blätter heraus. Beim ersten handelte es sich um ein Antragsformular zur Einsicht der Videobänder. Daran waren ein Brief, ein Lebenslauf sowie unterschriebene Verzichtserklärungen angeheftet.
Über dem Lebenslauf stand ein Name: David Isaacson.
Darunter befand sich eine Adresse in Miami Beach.
»Was fällt Ihnen zu dem Mann ein?«, fragte Robinson.
»Er war, ich weiß nicht mehr, wie oft genau, aber auf jeden Fall war er mehrmals hier. Er war sehr still und zugeknöpft. Ich habe nur ein einziges Mal mit ihm gesprochen, bei seinem ersten Besuch. Er erklärte mir, er sei ebenfalls Überlebender, und ich habe ihn ermuntert, seine eigenen Erinnerungen auf Band beizusteuern. Er erklärte sich einverstanden, allerdings wollte er zuerst seine Memoiren fertig schreiben. Seine Memoiren! Er sagte, er würde sie privat veröffentlichen. Nach seinem Tod. Er erwähnte, sie seien für seine Familie bestimmt, als privates Erinnerungszeugnis.«
Sie zögerte und fügte dann hinzu: »Ich fand das bewundernswert.«
»Gibt es so etwas wie ein Besucherbuch, dem wir entnehmen können, wie oft er hier war?«
»Wenn wir unsere Mitarbeiter befragen, können wir das wohl rekonstruieren. Aber wenn jemand erst mal Zugang hat, lassen wir ihn mit dem Material allein.«
»Wie ist er an die Bewilligung gekommen?«
»Sehen Sie diesen Brief?«
Winter und Robinson betrachteten beide den an die Akte gehefteten Brief. Er stammte von der Organisation Holocaust Memorial in Los Angeles und war vom stellvertretenden Direktor unterschrieben. Er bat darin, Mr.Isaacson, der in Los Angeles ähnliche Forschungsarbeit betrieben habe, alle akademischen Privilegien zu gewähren.
»Haben Sie dort angerufen und das nachgeprüft?«
»Nein«, gab Esther Weiss zögerlich zu. »Der Brief war vom stellvertretenden Direktor unterschrieben.«
Walter Robinson nickte. »Keine Sorge«, meinte er bedächtig, »das ändert nichts an der Situation.«
Simon Winter sah auf. »Diese Angaben in seinem Lebenslauf. Die akademischen Grade von der New York University und der University of Chicago. Die Publikationen und all das. Sie haben sich das nicht angeschaut …«
»Wieso?«, erwiderte sie. »Wozu? Es war klar, dass er kein Revisionist war! Er hat mir sogar die Tätowierung am Arm gezeigt!«
Winter hob die Hand. Er sah das gequälte Gesicht der jungen Frau. Sie war leichenblass und kurz davor, in Panik auszubrechen.
»Ich wusste doch nichts«, beteuerte sie. »Wie sollte ich das denn ahnen?«
Winter beantwortete diese
Weitere Kostenlose Bücher