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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Frage nicht. Er konnte an nichts anderes als den Schattenmann denken: höflich. Still. Darauf bedacht, nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, hatte er sich ein Video nach dem anderen angesehen, um festzustellen, ob irgendjemand dabei war, der ihn von früher kannte.
    Auf der Jagd, dachte der alte Mann.
    Etwa dieselben Gedanken gingen Walter Robinson durch den Kopf, doch er nahm sich die Zeit, Esther Weiss’ Frage zu beantworten. »Sie sollten es auch nie erfahren«, erklärte er. Nach kurzem Schweigen fügte er in entschlossenem Ton hinzu: »Aber keine Angst. Damit ist jetzt Schluss.«
    Er warf einen Blick auf die Adresse. Dann griff er über den Tisch und nahm den Hörer vom Telefon. Er wählte die Nummer des Polizeipräsidiums Miami Beach, nannte kurz seinen Namen und Dienstgrad und verlangte, augenblicklich zum Leiter des Sondereinsatzkommandos durchgestellt zu werden.

[home]
25
    Die Tätowierung
    S owohl Simon Winter als auch Walter Robinson hatten die Wirkung ihrer Bekanntmachung auf die Gemeinde der Überlebenden unterschätzt. Bereits am späten Abend liefen in ganz Miami Beach die Telefone heiß. In den wenigen alten Art-déco-Hotels, die noch nicht von der Jugendkultur vereinnahmt waren, sondern eine ältere Klientel bedienten, standen zu fortgeschrittener Stunde Menschengruppen in den Eingangshallen oder auf den großen überdachten Terrassen und diskutierten laut, was ihnen zu Ohren gekommen war. In Wolfie’s Restaurant unweit der Lincoln Road Mall war ein Streit ausgebrochen, der laut und aggressiv ausgetragen wurde. Mehrere der jüngeren Leute sowie einige ausländische Touristen, die den bekannten Treffpunkt besuchten, reckten schon die Hälse und fragten sich, wieso die normalerweise stillen, friedfertigen alten Menschen ihre Stimmen erhoben. Ein Fremder, ein Zeuge der hitzigen Wortgefechte, hätte in mehreren Gesichtern Wut erkennen können, doch bei näherem Hinsehen wäre ihm auch die Angst nicht entgangen. Eine tiefsitzende, eine abgründige Angst, die aus den hintersten Winkeln der Erinnerung aufstieg. Auch wenn nur sehr wenige je vom Schattenmann gehört hatten, so war doch jede Frau und jeder Mann von ähnlichen Erlebnissen gezeichnet, ob mit der Gestapo oder der SS oder aber durch das schreckliche Wissen, willig Befehle ausgeführt und sich damit zum Erfüllungsgehilfen des Bösen gemacht zu haben.
    So war die Vorstellung, dass ein Rädchen dieser Maschinerie mitten unter ihnen lebte, auch für diese Menschen ein Grund zur Panik. Die Alpträume, die an diesem Abend plötzlich wieder lebendig wurden, gingen zwar an den schicken jungen Leuten, die in Miami Beach die Szene der Nachtclubs und angesagten Lokale beherrschten, vorbei, fanden aber bei jenen älteren Menschen umso stärkeren Nachhall.
    Espy Martinez nahm den Aufruhr nur am Rande wahr. Sie saß im Wohnzimmer des Rabbi und hörte zu, wie er und Frieda die eingehenden Anrufe entgegennahmen. Sie begriff schnell, dass die Leute sich nicht meldeten, um Informationen weiterzugeben, sondern um sich trösten und beruhigen zu lassen. Der Rabbi meisterte diese Aufgabe mit Bravour, indem er in sanftem, geübtem Ton auf die Erinnerungen reagierte, die ihm wie die trockenen Blätter sterbender Pflanzen entgegenwehten.
    Sie hörte ihn sagen: »Nein, Sylvia, es ist nur dieser eine Mann … Ja, die Polizei fahndet nach ihm … wir werden ihn finden … Da gebe ich Ihnen recht, das ist entsetzlich. Wer hätte das für möglich gehalten?«
    Dann legte er auf und drehte sich zu ihr um, als wollte er etwas sagen, doch das Telefon klingelte erneut. Er nahm ab, lächelte schwach und versicherte: »Natürlich, Mr. Fielding, natürlich erinnere ich mich an Sie. Ahh, verstehe, Sie haben es auch gehört. Wissen Sie irgendetwas? Nicht? Ach so. Ja, sicher, selbstverständlich …«
    Der Rabbi zuckte mit den Achseln und sprach weiter mit dem Anrufer.
    Martinez wandte sich dem uniformierten Beamten der städtischen Polizei zu, der sich in den Sportteil der Tageszeitung vertieft hatte. Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, überlegte es sich aber anders. Stattdessen stand sie auf und trat an die Balkontür, um einen Moment hinauszusehen. Der Horizont schimmerte silbrig von den Lichtern der Stadt. Sie hätte gern gewusst, wo Walter Robinson war, und wünschte sich, bei ihm zu sein.
     
    Er und Simon saßen in einem Besprechungszimmer im Revier der Polizei Miami Beach und stimmten die Vorgehensweise bei der Verhaftung mit dem Captain des

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