Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
grimmig, steinern, selbstgerecht.
Lass mal deinen Pickel sehen.
Der war heute Morgen an meiner Nasenspitze gesprossen. Absurderweise hatte ich gehofft, er hätte ihn nicht bemerkt. Ich stand auf, damit er ihn sich besser ansehen konnte. Ich war fast so groß wie er, auch wenn das nichts zu bedeuten hatte. Suivez-moi, sagte er, als er mich bei den Schultern ins Badezimmer führte. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass er mich nicht am Ohr zog.
Ich wehrte mich nicht. Ich hatte mich schon mal gewehrt. Es hatte nichts genützt. Im grellen Licht des Badezimmers inspizierte er mein Gesicht. Schweigend tunkte er seine Nadel in den Alkohol.
Als es vorbei war – die Nadel triumphierte, der Pickel gab seinen Eiter preis –, wurde ich ins Bett geschickt, mit einem Stück blutigem Toilettenpapier an der Nasenspitze. Ich lag da, zitternd und schlaflos, fast bis zum Morgengrauen. Ich war dankbar, dass der Schnee mich gerettet hatte, dass ich nicht in einer Stunde schon wieder aufstehen musste, um zur beschissenen Schule zu gehen. Später am selben Morgen, als ich meine Karteikarten durchging und zu vergessen versuchte, rief Julian an.
»Du hast meine Visitenkarte doch nicht verloren, oder?«, fragte Julian.
Nachdem das Telefon in der Küche achtmal geklingelt hatte, hob ich den Hörer ab. Meine Mutter hätte eigentlich rangehen
sollen, tat es aber nicht. War sie irgendwohin gegangen? War sie – nach einer schlimmen Nacht – in so tiefen Schlaf gefallen, dass sie das Klingeln nicht hörte? Ich war allein im Haus.
»Ganz bestimmt nicht.« Im Gegenteil. Die Karte lag auf meinem Schreibtisch, und ich konnte weder mit meiner UFO-Arbeit noch mit meinen Schularbeiten anfangen, ohne sie mindestens einmal in die Hand genommen und damit herumgespielt zu haben. »Tut mir leid, dass ich dich nicht angerufen habe. Es war einfach alles … so verrückt«, sagte ich in der Hoffnung, er würde nicht fragen, worum es sich bei diesem »alles« handelte und inwiefern es »verrückt« gewesen war.
»Tja, so ist es heutzutage. Alle sind beschäftigt. Jeder Lehrer denkt, er wäre der einzige, für den man Hausaufgaben machen muss. Der Physiklehrer ist sich nicht darüber im Klaren, dass man auch noch einen Englischaufsatz schreiben soll und so weiter und so fort. Nicht wie in den guten alten Zeiten der ersten Klasse, wenn man schon als schlau galt, weil man das Alphabet konnte. Hast du übernächsten Samstag schon was vor?«
»Ich schätze, da werde ich in Philadelphia sein. Zur Recherche in der Bibliothek.«
»Gut. Das ist meine Woche bei den seltenen Büchern. Wir treffen uns, wenn der Laden seine Tore schließt. Ich fahr dich raus zu unserem Haus.«
»Dein Elternhaus?«
»Natürlich nicht. Das SSS-Haus. Eine alte Farm draußen auf dem Land. Man nimmt den Schuylkill Expressway, bis hinter West Conshobocken. Wir essen alle zusammen und halten ein bisschen Ausschau, soweit die Bedingungen es zulassen. In Jackett und Krawatte, bitte. Zum Essen ziehen sich alle immer schick an. Rochelle wird da sein. Einer von uns bringt dich zurück. Wo wohnst du eigentlich?«
»Kellerfield.«
»Das liegt an der Route 17, stimmt’s? Ungefähr zehn Meilen außerhalb von Trenton.«
»Mh-hm.«
»Dann eben nach Kellerfield. Oder wenn es zu spät wird, bauen wir dir ein Bett.«
Drei Minuten nachdem ich aufgelegt hatte, bereute ich schon, zugesagt zu haben. Ich stellte mir vor, wie ich in Julians Auto stieg und spurlos verschwand. Zweifellos würde man irgendwelche obskuren Experimente an mir durchführen, mit Nadeln und anderen scharfen Instrumenten, auf dieser verfallenen Farm mitten im Nirgendwo. Niemand würde meine Schreie hören. Niemand würde erfahren, was mit mir passierte.
Da konnte mir Rosa helfen.
Ich erklärte ihr, wir würden am Samstag gemeinsam zur Bibliothek fahren, aber sie würde früher gehen und an der Ecke beim Haupteingang warten, bis sie Julian und mich herauskommen sah. Dann würde sie uns unauffällig zu Julians Auto folgen. Sie würde das Kennzeichen und eine Beschreibung des Autos notieren. Sollte ich nicht bis zwei Uhr früh zurück sein oder auf die eine oder andere Weise Kontakt zu ihr aufgenommen haben, würde sie die Polizei anrufen.
»Schwachsinn«, sagte Rosa.
Sie redete ständig so, seit sie und Jeff sich getrennt hatten. Sie nannte ihre Mutter inzwischen nicht mehr »Helen« sondern »die alte Hexe«, und als sie meinen missbilligenden Blick sah – so schlimm diese Frau auch sein mochte, sie blieb
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