Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
Rand des Altars. Ein großes, durchsichtiges, flaschenförmiges Gefäß stand auf dem Boden unter meinem verletzten Fuß – rot und grausam angeschwollen. Ungläubig sah ich, wie ein dicker Tropfen milchig weiß unter dem Nagel meines großen Zehs hervorquoll. Einen Moment lang hing er zitternd am Ende eines durchscheinenden Fadens. Dann fiel er platschend in die Flasche.
»Das hätte wirklich nicht sein müssen«, sagte ich. »Wenn ihr das von mir wolltet« – ich deutete mit dem Kopf zur Flasche – »hättet ihr es auch auf normalem Wege bekommen können.«
Wie der brasilianische Bauer, den seine Weltraumfrau in ihre rot glühende Scheibe geholt hatte. Mit ihrem breiten Becken und den kräftigen Schenkeln hatte sie sich seinen Samen gleich zweimal geholt. Doch dann hätte ich Vergnügen empfunden, und das war nicht vorgesehen.
Ich lächelte grimmig. Ich spielte an den Schnüren herum, mit denen meine Hände gefesselt waren, probierte, ob ich sie lockern konnte.
»Ich hätte es euch gegeben. Oder besser: ihr …«, sagte ich und dachte an die Mondfrau. »Gern sogar.«
Sie gaben nicht zu erkennen, ob sie mich gehört hatten. Einer der beiden beugte sich flink zu Boden. Mit einem dünnen Gliederarm hob er die Flasche auf, nahm sie an sich und verschwand in der Dunkelheit außerhalb der Scheibe. Der andere blieb allein bei mir stehen und sah mir in die Augen.
Ich erwiderte den Blick in die beiden geschlitzten Teiche der Finsternis. Dort sah ich – oder bildete es mir ein – meine süße Mondfrau, nackt und weit entfernt und trauernd. Gefangen in diesen Augen, wie ein Glühwürmchen in einem Marmeladenglas.
Ich zwang mich zu lächeln.
In die Augen der Kreatur sandte ich den Gedanken: Heb deine Hand. Berühre meine Lippen.
Und das tat sie. Und ich stürzte mich auf sie …
»LEON!«
… und biss zu und hörte den dünnen Knochenpanzer knirschen, als ich meine Zähne hineinschlug. Die Kreatur stieß ein schwaches hnnnnhh aus und versuchte sich loszureißen. Doch meine Zähne hielten sie fest, als wäre ich ein Hund. Mit den Beinen ruderte ich vom Tisch, sprang auf sie, und gemeinsam stürzten wir zu Boden.
Ich klemmte das Vieh unter mir ein, befreite meine Hände. Dann packte ich es bei seiner dürren Kehle. Es fühlte sich kleiner, schwächer, todgeweihter an als das Wesen, mit dem ich im See gekämpft hatte, vor unzähligen Aschemarkierungen. Oder war ich gewachsen? Eine ungewohnte Kraft brannte in mir, schrecklich und schön, konnte es kaum erwarten, mir den Verfall vom Leib zu brennen, dem ich ausgesetzt gewesen war. Wie ein Eroberer hockte ich auf meinem Opfer und drückte ihm meine Knie auf die Brust.
»Wer bist du?«, schrie ich ihm ins Gesicht. »Was bist du?«
Es versuchte, mir zu antworten, in seiner kha-kha-kha -Sprache. Ich wusste, dass es mir etwas sagen wollte, dass es seinen Schmerz mitteilen wollte. Doch ich verstand die Sprache nicht, und es mangelte mir an Geduld, sie zu lernen. Ich drehte das Vieh um, nahm es beim Kragen, knallte es mit dem Gesicht auf den Boden. Immer wieder hob ich dieses steinerne Dreieck von einem Kopf an und schlug es gegen den Boden. Ich glaube nicht, dass ich das Wesen töten oder ihm auch nur Schmerz zufügen wollte. Ich wollte nur diese verdammte Maske von einem Gesicht aufbrechen. Befreien, was dahinter eingesperrt sein mochte.
Es wehrte sich nicht. Es zuckte kaum. Als ich fertig war, keuchend, schwitzend und weinend, wusste ich, dass es tot sein musste. Doch das Gesicht hatte nicht mal eine Delle. Es war härter als Feuerstein, dieses Gesicht. Selbst noch als der schwache Hals nachgab und sich dieses klebrig-schwarze Zeug auf dem Boden der Scheibe ausbreitete …
»LEON!!!«
… wie eklig stinkender Teer und der Körper ein, zwei Handbreit vom abgetrennten Kopf entfernt lag – selbst da hatte ich dem Gesicht kaum einen Kratzer zugefügt …
»LEEE-OO-N!!!«
Das ist nicht mein Name, den Mutter da ruft. Ich laufe weg.
KAPITEL 23
Sie liegt auf dem Boden, neben ihrem Bett. Mein Vater ist im Pyjama, kniet bei ihr. Ich wünschte, dass ich nicht so lange gebraucht hätte, um herzukommen. Dass ich nicht so sehr in die Tagebuchwelt abgetaucht wäre und mitbekommen hätte, dass sie um Hilfe rief.
Sie wimmert: »Ich bin gestürzt, Leon! Leon, ich bin gestürzt!«
Sie hat schreckliche Angst. Ich spüre ihre Angst vor dem eigenen verfallenden Körper. Sie trägt noch immer Rock und Bluse. Offenbar war sie länger wach geblieben und hatte gerade
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