Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
öffneten sich leicht wie Rosas, als diese vor mir gestanden und gewartet hatte, ob ich mit ihr tanzen wollte.
»Ich habe dich schon immer geliebt«, erklärte ich. »Aber Jeff hatte mir gesagt, wie gern er dich hat, und er war mein Freund … ich meine, ich dachte …«
Wie lächerlich das alles war. Aber was kann man von einem Achtklässler erwarten?
Ich sagte: »Und dann war da noch meine Mutter.«
Ich musste sie schützen. Sie fürchtete sich vor Schicksen und deren Brüdern, die – als sie klein war – den jüdischen Kindern aufgelauert und sie beschimpft und manchmal verprügelt hatten. Fast drei Jahre sind vergangen, seit ich Rosa zuletzt gesehen habe, und obwohl ich ihr Angebot zum Tanzen abgelehnt hatte, wurde meine Mutter unheilbar krank. Letzten Sonntag brachten wir ihr einen Stuhl in den Garten, sodass sie, dick eingewickelt, zehn Minuten in der kühlen Aprilsonne sitzen konnte.
Nichts von alledem, was geschehen ist, lässt sich ungeschehen machen.
Die Silberfrau streckte die Hand aus. Nach kurzem Zögern nahm ich sie. Ich vergaß, darauf zu achten, ob sie fünf oder sechs Finger hatte. Mondlicht rann wie dicke Flüssigkeit von ihrer Hand auf meine.
Ich versuchte, nach ihrem Namen zu fragen. Die Worte kamen nicht heraus, so sehr schnürte es mir die Kehle zu. Wahrscheinlich hatte sie keinen Namen. Sie führte mich zur Schalttafel, und dort standen wir, während ihre Finger über die Knöpfe und Tasten tanzten. Ich erkannte einige der Muster wieder, die ich dem Buch der Zigeuner entnommen und so zaghaft, so unbeholfen ausprobiert hatte. Sie war weder zaghaft noch unbeholfen. Die Scheibe bebte. Sie vibrierte. Ich spürte, dass sie aufstieg wie ein Fahrstuhl.
Gleich wirst du verschwinden, sagte sie. Hab keine Angst. Es muss sein.
Ich betrachtete meinen Körper. Die Sterne schimmerten hindurch. Dann stiegen wir nicht mehr auf, sondern stürzten hinab – dem Mond entgegen, der größer wurde, nun von allen Seiten zu sehen, weil die Scheibe unsichtbar geworden war, genau wie ich. Sie auch. Ich spürte die Wärme ihres Körpers, aber ich konnte sie nicht sehen. Nur die Sterne um uns herum, durch uns hindurch, und überall taumelte die gefleckte Finsternis wie ein Akrobat. Der Mond wurde groß und größer, während wir darauf zustürzten, schwerelos. Ihre Finger schlossen sich um meine Hand. Meine Lippen tasteten nach ihren. Sie stieß mich zurück.
Nicht jetzt. Warte auf die Samung.
»Wie lange noch?«, fragte ich.
Bald.
»Fliegen wir zum Ort der Samung?«
Ja. Aber nicht gemeinsam.
Ich wollte sie fragen, was sie damit meinte, doch bevor ich sprechen konnte, explodierte der Mond vor unseren Augen, expandierte, bis sein silbriger Glanz überall war. In diesen letzten paar Sekunden wurde ich erdrückend schwer. Was würde mit mir geschehen? Würden meine Knochen unter meinem Gewicht zerbrechen? Würde ich daliegen, eine hilflose Pfütze atmender Flüssigkeit in einem Sack von Haut? Sie taten es nicht, und ich tat es nicht, und plötzlich ließ der Druck nach. Ich hielt meine Augen geschlossen, bis ich mich traute, einen Blick zu riskieren.
»Wo sind wir?«, fragte ich.
Was glaubst du denn?
Mein Kopf lag auf ihrem Schoß. Ich fühlte mich seltsam
leicht, als sollte ich jeden Moment ins All hinausschweben. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich wusste nicht, ob es daran lag, dass sie noch durchsichtig war, oder ob ich den falschen Blickwinkel hatte. Ich fragte mich, ob die Samung schon vorbei war, ob ich daran teilgenommen und sie trotzdem irgendwie verpasst hatte.
»Sind wir auf dem Mond?«
Farbige Formen strömten durch den schwarzen Himmel über uns. Eine kleine Flotte leuchtender Objekte wie die fliegende Untertasse, die über unserem Haus geschwebt hatte. Wie die Tankstellenschilder am Abend vor dem Herzinfarkt meiner Mutter, als mein Vater uns von einem Picknick auf dem Land nach Hause kutschierte. Ich lag mit den Beinen auf seinem Schoß, mit dem Kopf auf ihrem und beobachtete aus dem Seitenfenster, wie die Scheibe von Gulf, der rote Stern von Texaco und das geflügelte Pferd von Mobilgas über den Himmel flogen. Damals war ich geborgen und glücklich. Zum letzten Mal.
Weit unter mir hörte ich ein fernes Murmeln, das ich für das Plätschern kleiner Wellen hielt.
»Wir sind in einem der Türme«, sagte ich. »Oder?
Genau wie in dem Krater, den die Zigeuner in ihr Buch gezeichnet hatten. Auf der dunklen Seite des Mondes musste es viele solcher Türme geben – für einen
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