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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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neu. Das gab es noch nie. Und wir wissen natürlich nicht, was dahintersteckt, woher der Wind kommt und wie er entsteht.
    Auf jeden Fall können wir jetzt sagen, dass es mehrere Veränderungen draußen gibt. Sind sie Vorboten des endgültigen Untergangs? Oder erste Anzeichen einer Normalisierung der Verhältnisse? Könnten sie unsere Lage verschlimmern?
    Oder bleibt trotz Bodenwinden und gestiegener Temperatur alles so, wie wir es seit Monaten kennen? Wir wissen es nicht. Zwar ist Finn nach wie vor optimistischer als ich. Aber auch er hat Angst. Da wir jedoch nichts, aber auch überhaupt nichts tun können, müssen wir uns den Dingen ergeben und alles auf uns zukommen lassen.
     
    Wir haben gerade beschlossen, in der nächsten Zeit das Haus nicht zu verlassen. Die Vorräte reichen noch ewig. Wir wollen versuchen, unseren Alltag zu leben und die Welt da draußen erst einmal nur von hier oben aus zu beobachten. Allerdings noch genauer als vorher.
     
    Ich bin sehr müde. Ich glaube, Finn auch. Wir werden schlafen gehen.
    Mein Gott. Was für ein Glück, jetzt nicht alleine zu sein.

40. EINTRAG
    5. März. Die Temperatur liegt beständig bei minus sechs Grad. Wir bemerken keine neue Veränderung der äußeren Umstände und sind wieder in ruhiger, fast gelassener Stimmung. Reden viel, lesen, kochen ausgefallene Sachen (soweit die Angebotspalette unserer Vorräte das zulässt) und machen Spiele. So vergehen die Tage. Ohne Angst und ohne Bedrückung. Es ist schon seltsam: Wir leben inmitten des Grauens, aber wir ignorieren es. Die Finsternis erreicht uns nicht. Mir ist, als hätte sich unsere Freundschaft wie ein Schutzschild um unsere Leben gelegt. Und so können wir jeden Tag, an dem es uns hier auf unserer kleinen Insel gut geht, wertschätzen, ja beinahe genießen. Wie sonderbar.
     
    Zum ersten Mal in meinem Leben denke ich über Freundschaft nach. Das habe ich tatsächlich noch nie zuvor getan. Ist die Freundschaft zu einem Mann etwas Wertvolleres als die Liebe zu einer Frau? Kann man beides überhaupt miteinander vergleichen? Ist eine tiefe Freundschaft generell etwas Bedeutenderes als eine von Erotik und Sexualität motivierte Liebe? Aber man kann ja auch lieben, ohne zu begehren! Ist die platonische Liebe die größte Empfindung überhaupt, zu der wir Menschen befähigt sind? Wann jedoch wird aus Freundschaft Liebe?
    Finn hatte immer gute Freunde, sein ganzes Leben lang. Boris zum Beispiel, mit dem er am 17. Juli vergangenen Jahres auf der Jagdhütte bis in die Morgenstunden hinein gesoffen hatte.
    Als Finn am Abend des 17. Juli aufwachte, und alle Menschen aus der Jagdhütte verschwunden waren, glaubte er zunächst an einen Scherz, hinter dem nur einer hätte stecken können: Boris. Denn er war ein Filou und immer für alle möglichen und unmöglichen Überraschungen gut gewesen. Aber sehr schnell wurde Finn dann der Ernst der Lage klar. Und die große Verzweiflung über das Verschwinden seines Freundes feuerte ihn bei seinen Aktivitäten geradezu an. Eigentlich war Boris der Hauptgrund, warum Finn zu Beginn des Unglücks so viel unternahm: Er wollte hinter die Ursachen der Katastrophe kommen, um so vielleicht Boris finden und retten zu können. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch ungefähr in der dritten Woche des Mysteriums. Auch wenn es die Person Boris nicht gegeben hätte, wäre Finn sicherlich unmittelbar nach dem 17. Juli aktiv geworden, das liegt in seiner Natur – die Freundschaft allerdings war die stärkste Antriebskraft für seinen Forschungsdrang, seine Bemühungen, etwas Licht ins Dunkel der Ereignisse zu bringen.
     
    Ich habe lange gezögert, Finn zu fragen, wie »körperlich« sein Verhältnis zu Boris war. Schliefen die beiden auch ab und zu in einem Bett? Gab es Berührungen? Annäherungen? Zärtlichkeiten? Nein, all das gab es nicht! Nur stets sehr herzliche Umarmungen – zur Begrüßung, beim Abschied. Oder man legte schon mal die Hand auf die Schulter des anderen.
    Vor etwa einer Stunde hat er mir das erzählt, nachdem ich dieses Thema endlich angesprochen hatte. Zärtlichkeiten oder Ähnliches seien ihm damals nicht in den Sinn gekommen, sagt er. Von seiner heutigen Warte aus gesehen, wäre ein inniger physischer Kontakt zu Boris jedoch durchaus denkbar gewesen. Vermutlich habe man sich nicht getraut, vielleicht aber war das Bedürfnis nach großer körperlicher Nähe damals auch nicht stark genug. Finn weiß es nicht.

41. EINTRAG
    12. März. Wir haben ein neues Hobby, einen neuen,

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