Der Tag an dem die Sonne verschwand
fragen. Ich will nichts zerreden. Aber ich vermute, ja. Nur, er kann besser mit diesen Anwandlungen umgehen als ich, vertreibt sie vermutlich sofort wieder aus seinem Kopf und lässt sich in seiner Freude über unser neues Hobby nicht stören.
42. EINTRAG
17. März. Heute Morgen haben wir lange über Asha und Marie gesprochen. Ob die beiden sich wohl verstanden hätten? Ob wir zu viert gut miteinander ausgekommen wären?
Ich glaube es nicht. Die beiden Frauen waren zu verschieden. Finn beschreibt Asha als eine äußerst sinnenfrohe Schönheit, die Mode, Partys, schnelle Autos und lange Disco-Nächte liebte. Marie dagegen war dann doch eher die Stillere und Intellektuelle. Wobei auch Asha einen Hochschulabschluss hatte; sie war diplomierte Kauffrau und arbeitete bei einer TV-Produktionsgesellschaft. Ich fragte Finn, ob er sich seelenverwandt mit Asha gefühlt habe. Er verneinte sofort. Sie beide seien aus völlig verschiedenen Welten gekommen. Aber die Liebe zu ihr habe fast etwas Übernatürliches gehabt. Er hätte damals sein Leben für sie gegeben, er habe sie mehr geliebt als sich selbst. Und dennoch seien sie in gewissem Sinne immer Fremde füreinander geblieben. Was sich zum Beispiel auch daran zeigte, dass er mit seinem Freund Boris einen weitaus intensiveren Gedankenaustausch über alle Dinge des Lebens pflegte als mit seiner Geliebten. Mit ihr sprach er kaum über seinen Beruf, kaum über finanzielle Angelegenheiten, wenig über seine Vergangenheit und fast nie über sein Innenleben. Boris wusste alles über Finn, Asha kannte nur einen fragmentarischen Ausschnitt seines Ichs.
Es fällt mir schwer, das nachzuvollziehen. Ich hatte immer Partnerinnen, die mir stets auch gute Freunde waren. Wenn ich an die langen und intensiven Unterhaltungen mit Marie denke! Wie wir uns gegenseitig inspirierten, immer wieder neue Themen entdeckten und oft stundenlang über die verrücktesten Dinge diskutierten! Zum Beispiel über die Frage: Was würden wir tun, wenn wir ein Jahr lang als unsichtbare Personen leben müssten?
Die Gespräche mit ihr waren wie ein Feuerwerk.
Und wie viele gemeinsame Interessen wir hatten!
Sie wusste so viel von mir! Ich so viel von ihr! Und immer war ich ihr ein guter Ratgeber in allen Angelegenheiten (hoffe ich doch!) – ebenso wie sie mir eine gute Ratgeberin in all meinen Angelegenheiten war.
Ja, und ich könnte sicher noch mehr Schönes aufzählen, das mich und Marie von Finn und Asha unterschied.
Aber: Ich hätte mein Leben damals nicht für Marie gegeben. Ich liebte sie nicht mehr als mich selbst.
Gott, wenn es eine Existenz nach dem Tode gibt – und die Toten uns beobachten, womöglich auch noch tief in unsere Herzen schauen können -, dann kennt Marie schon so lange die volle Wahrheit. Wie ich mich schäme! Was sie wohl über mich denkt? Wie sie wohl urteilt? Sie wird mich verachten! (Haben Tote überhaupt die Fähigkeit zu verachten? Dürfen Tote verachten?)
Ob sie manchmal neben mir steht, wenn ich hier meine Aufzeichnungen tippe? Als Geistwesen? Können Tote in das irdische Geschehen eingreifen? Hat sie mich vielleicht in diese dämonische Welt der Dunkelheit und Eiseskälte verbannt? Aus Rache! Oder aber versucht sie mir beizustehen, mich zu beschützen? Vielleicht ist sie mein Engel und hat mich im Januar zu Finn geführt, weil sie mich noch immer liebt und möchte, dass es mir gut geht, weil sie mir vergeben hat?
Solche Überlegungen teile ich Finn nicht mit.
Derselbe Tag. 17. März, Abendstunden.
Gerade eben ist etwas sehr Schönes geschehen. Mir zittern noch ein wenig die Hände.
Finn hat vorhin lange Akkordeon gespielt – nur gespielt, nicht dazu gesungen. Es waren alte Volkslieder und Melodien aus verschiedenen Opern und Operetten. Ich lag währenddessen auf der Couch und hörte zu. Schaute dabei immer wieder zu ihm, zu den flackernden Kerzen auf dem Tisch oder einfach nur an die Zimmerdecke und die wirren Schattenspiele dort. Und die Melodien hielten Einzug in meine Seele und ließen alle Gedanken in sich zusammenfallen. Bis ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ich heulte einfach los, schluchzte und schluchzte und verschränkte die Arme vor dem Gesicht, weil ich mich etwas schämte. Finn war offensichtlich über mein plötzliches Weinen sehr erschrocken, denn er hörte sofort auf zu spielen, kam zu mir, setzte sich auf die Sofakante und legte seine Hand auf meine Brust. Das empfand ich als ausgesprochen angenehm, aber es beruhigte mich
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