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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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keineswegs, im Gegenteil, ich heulte noch heftiger. Und dann streichelte er über mein Haar. Was mich sehr rührte. Wie viele Jahre hatte mich niemand mehr so gestreichelt? Und ich weinte fast ohne jede Hemmungen … »Lorenz«, hörte ich ihn irgendwann sagen, »ich bin so glücklich, dein Freund zu sein. Mir ist deine Vergangenheit egal, und wenn draußen plötzlich tausend schöne Frauen stünden, für keine Frau der Welt würde ich dich verlassen – egal was auch passiert, ich möchte immer mit dir zusammenbleiben.«
    Das hätte er nicht sagen dürfen, denn nun verlor ich auch noch den letzten Rest Selbstbeherrschung und schluchzte wie ein ganzer Kinosaal, in dem gerade ein fulminanter Schmachtfetzen geboten wird. Aber mir tat es gut, mich einfach so auszuheulen, ohne Vorbehalte und jetzt auch ganz ohne Scham. Ich drehte mich zu ihm hin, berührte seine mir zugewandte Hüfte leicht mit meinem Gesicht, und eingerollt wie ein Embryo genoss ich die Geborgenheit. Da mir das Zeitgefühl abhanden gekommen war, weiß ich nicht, wie lange dieser Moment der innigen Verbundenheit andauerte. Ich glaube: lange!
    Aber irgendwann richtete ich mich noch immer schluchzend auf, schluckte ein paarmal kräftig, hustete, schaute Finn an, soweit das mit den verquollenen Augen überhaupt möglich war, und krächzte mit verweinter Stimme: »Fast genau dasselbe wollte ich dir auch schon lange sagen. Wobei ich stolz auf deine Vergangenheit bin. Wir wollen uns nie wieder trennen!«
    Er lachte mich an – oder sagen wir besser, er lächelte mich strahlend an, streichelte nochmals über mein Haar, und nachdem er mir ein paar Sekunden fest in die Augen gesehen hatte, stand er auf und ging zu seinem Akkordeon.
    Na ja, und dann war »La Paloma« angesagt! Aber wie! Mit ganzer Seele sangen wir mehrmals alle Strophen rauf und runter.
    »… Auf Matrosen, ohé!«

43. EINTRAG
    Heute ist der 24. März, kurz vor zwölf Uhr.
    Wir sind sehr angespannt. Reden schon den ganzen Vormittag. Ich muss jetzt etwas schreiben, um zumindest ein klein wenig Ordnung in meine Gefühle zu bekommen. Das Reden alleine hilft mir dabei im Moment nicht.
     
    Es verändert sich wieder etwas draußen!
    Mir schlägt das Herz bis zum Hals, während ich hier schreibe!
    Der Himmel verändert sich!
    Zumindest hat er sich über Nacht etwas verändert. Schon unmittelbar nach dem Aufstehen heute Morgen ist es uns aufgefallen. Ich wage es gar nicht zu formulieren: Es ist etwas heller geworden!
    Vielleicht täuschen wir uns aber auch. Obwohl – wir rennen seit Stunden von Fenster zu Fenster, waren auch schon ein paarmal auf den Balkonen unserer Nachbarwohnungen, und immer meinen wir dasselbe wahrzunehmen: eine Nuance Helligkeit in der dichten Wolkendecke.
    Eigentlich freuen wir uns. Aber wir haben auch so große Angst.
    Was bedeutet diese Veränderung? (Wenn es denn wirklich eine Veränderung ist.) Wird es noch heller? Reißt vielleicht sogar bald die Wolkendecke auf? Kehrt die Sonne zurück? Oder: Kommt nun das endgültige Aus? Vielleicht leben wir ja in einer Restwelt wie in einer kleinen Blase, die jetzt kurz davor ist, zu zerplatzen! Vielleicht aber entsteht gerade wieder ein ganz normaler Tag-Nacht-Rhythmus. Erst heute Abend werden wir das beurteilen können.
     
    Die Temperatur hat sich nicht verändert; zumindest nicht direkt am Haus.
    Unsere Augen saugen voll Gier das winzige bisschen Licht auf! Aber nein, man kann es nicht wirklich Licht nennen, sondern bestenfalls eine geringfügige Andeutung von Helligkeit.
    Je länger wir diskutieren und je öfter wir in den Himmel schauen, desto sicherer werden wir: so dunkel, wie es all die Monate seit dem 17. Juli war, ist es jetzt nicht mehr! Unsere Augen täuschen uns nicht!
    Und nun befinden wir uns wieder in derselben Situation wie vor Wochen, als sich die Temperatur veränderte. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Erneut hinausgehen?
    Das lehnt diesmal sogar Finn ab. Was sollen wir auch draußen? Gut, vielleicht registrieren wir erneut irgendwelche Temperaturschwankungen und spüren Bodenwinde auf, stärkere unter Umständen als vor Wochen – aber was bringen uns diese Erkenntnisse? Nichts! Wir müssen hierbleiben, ausharren und abwarten! Wir können nur beobachten.
    Aber das ist leichter gesagt als getan. Wir leben immerhin seit über acht Monaten in völliger Dunkelheit – und nun das! Wir können doch jetzt nicht zu Mittag kochen! Oder Romane lesen! Oder singen!
    Grabesstille draußen. Nichts zu hören.
    Ich habe

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