Der Tag, an dem du stirbst
lieber in den zweiten oder dritten Stock gezogen, aber die größeren Wohnungen dort hätte ich mir einfach nicht leisten können. Wie sich herausstellte, war Frances Beals, meine Vermieterin, außerordentlich streng auf Sicherheit bedacht. Sie sei in diesem Haus zur Welt gekommen, hatte sie mir am Tag unserer ersten Begegnung anvertraut. Gute irisch-katholische Familie mit elf Kindern. Die Hälfte ihrer Geschwister lebte über die Staaten verstreut, die andere Hälfte war schon tot.
Frances hatte ihr ganzes Leben in Cambridge verbracht und kannte die Nachteile der Universitätsstadt mit ihrem seltsamen Mix aus superteuren Palais und schäbigen Wohnbunkern genau. Es gab weite Grünflächen und gediegene Restaurants für junge Familien mit guten Jobs direkt neben Waschsalons, Pizzerien und Trendläden für die Studenten. Manche Bewohner wie Frances kamen aus Familien, die seit Generationen in der Stadt lebten. Die meisten anderen blieben für den Sommer, ein Semester oder für ein vierjähriges Studium. Mit anderen Worten: Es war ein Nebeneinander von gediegener Sicherheit, Kleinkriminalität, unstetem Leben und Ausschweifung.
Bevor ich mein Zimmer beziehen konnte, hatte mir Frances in einem zweistündigen Gespräch auf den Zahn gefühlt, um festzustellen, welcher Kategorie ich angehörte. Keine Haustiere, keine Freier, augenscheinlich auch keine Body-Piercings: Test bestanden. Ich machte ein Doppelschloss zur einzigen Bedingung meiner Anmietung und bat darum, alle Türen und Fenster im Parterre inspizieren zu dürfen.
Meine Bitte schien Frances zu beruhigen, sie interpretierte sie offenbar als Zeugnis des gesunden Menschenverstands. Mir war das nur recht.
So gesprächig wie während meines Vorstellungsgesprächs war Frances im Anschluss nie wieder. Ein Hochzeitsfoto auf dem Kaminsims legte den Schluss nahe, dass sie einmal verheiratet gewesen war. Daneben stand das Bild eines Säuglings, doch Frances erwähnte es mit keinem Wort, und zu Weihnachten kam auch keine Familie zu Besuch. Vielleicht erzählt das eine eigene Geschichte. Ich machte mir so meine Gedanken, fragte aber nie nach.
In gegenseitigem Einverständnis nutzte Frances den Hauseingang, während ich mein Zimmer über das Gartentor und die Hintertür betrat. Ich ging ihr nach Möglichkeit aus dem Weg, was nicht allzu schwer war, da ich viermal in der Woche Nachtschicht hatte und bis mittags schlief.
Mein Zimmer war klein, aber mir gefielen der ausgetretene Holzfußboden, die drei Meter hohe Decke und die Butzenscheiben. Meine Vorgängerin, eine Professorin, hatte mir ein Ikea-Regal voller Romane hinterlassen, und so verschlang ich in meiner Freizeit rührselige Liebesgeschichten von Nora Roberts. Mit Blick auf das, was mich erwartete, war ich der Meinung, dass mir zumindest ein paar Stunden am Tag Geschichten mit Happy End zustanden.
Ich zog meinen weiten grauen Kapuzensweater an und holte meine 22er unter dem Kopfkissen hervor. Bis vor einem Jahr hatte ich eine solche Waffe noch nie in der Hand gehalten. Ich hatte nicht einmal den Unterschied zwischen einer Pistole und einem Revolver gekannt, geschweige denn der zwischen Zentral- und Randfeuermunition oder zwischen einer 22er und einer .357 Magnum. Das hat sich geändert.
Es gibt bessere Waffen zur Selbstverteidigung als eine 22er. Sie wird vor allem deshalb geschätzt, weil sie klein und leicht ist und sich gut verbergen lässt – in der Tasche, hinterm Gürtel oder, wie man mir sagte, an einer Kette um den Hals nach dem Vorbild echter Gangster.
Draußen auf der Straße trug ich meine Pistole in einem Lederbeutel, da es die Bewohner von Massachusetts nicht gern sehen, wenn man offen bewaffnet herumläuft. Zu Hause aber steckte meine Halbautomatik im Holster an meiner linken Hüfte. Sie blitzschnell zu ziehen und in Anschlag zu bringen hatte ich unzählige Male geübt. Ich trainierte zweimal die Woche für mindestens dreißig Minuten.
Meine Taurus war vernickelt und hatte einen Griff aus Rosenholz. Sie wog 340 Gramm, passte schön auf meinen Handteller, und das warme Holz zwischen den Fingern zu spüren, gefiel mir zunehmend. Eine hübsche Waffe, wenn man das so sagen kann. Außerdem war sie nicht allzu teuer gewesen und recht preiswert zu munitionieren.
Auch daran hätte ich vor einem Jahr noch keinen Gedanken verschwendet. Aber Waffen und Munition können schwer ins Geld gehen, und dass ich um mein Leben fürchtete, änderte nichts an der Tatsache meiner begrenzten Mittel.
Inzwischen war
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