Der Tag, an dem du stirbst
meiner Stelle wärst, worauf würdest du dich konzentrieren?», fragte D.D.
«Auf Personen, die physisch und mental stark sind, geschickt mit Worten und noch besser mit ihren Händen umzugehen verstehen und absolut keine Skrupel haben. Vielleicht sollten sie auch überdurchschnittlich gut mit dem Computer umgehen können – das Internet ist der neue beste Freund aller Stalker. Übrigens würde ich dieser Charlie raten, sich, solange sie auf der Flucht ist, vom Netz fernzuhalten. Sich einzuloggen ist so gut wie ein Rauchzeichen mit der Botschaft Hier bin ich . An deiner Stelle würde ich außerdem versuchen, die Kontakte der Frauen ausfindig zu machen. Wer kennt alle drei? Da fällt mir was ein. Hast du schon einen Blick in Facebook geworfen? Hatten die Frauen Accounts? Manchmal werden da Beileidsbekundungen gepostet – ‹in Erinnerung an Randi Menke und/oder Jackie Knowles›. Wenn dem so ist, könntest du den oder die Verfasser ermitteln.»
«Da kommen etliche Arbeitsstunden zusammen, und das für einen Fall, der offiziell keiner ist», sagte D.D., die gleich darauf an Detective O und an anmachende Internettäter dachte. Und plötzlich meldete sich ihr Jagdinstinkt zurück. Trotz zehnwöchigen Schlafmangels hatte sie ihn offenbar immer noch. «Danke, Griffin», sagte sie eilig. «Du hast mich auf eine Idee gebracht.»
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12. Kapitel
Jesse sprang aus dem Schulbus. Er warf sich seinen Red-Sox-Rucksack über die linke Schulter und rannte die verschneite Straße entlang. Er hatte keine Uhr bei sich, ahnte aber, dass er zu spät kam. War es nicht typisch, dass der Bus ausgerechnet heute Verspätung hatte? Er musste sich beeilen.
Er sprang die Eingangsstufen hinauf und schlug mit der flachen Hand auf den Klingelknopf. Seine Mutter, die auf ihn wartete, drückte oben den Summer. Er riss die schwere Tür auf, rannte auf die Treppe zu und stolperte über den Rand der dritten Stufe, hatte sich aber schnell wieder gefangen und hastete bis in den dritten Stock hinauf. Schon suchte er in der Jackentasche nach dem Wohnungsschlüssel. Schwitzend und zitternd erreichte er die Tür. Ihm war ein bisschen schlecht.
Er durfte auf keinen Fall zu spät kommen.
Helmet Hippo baute auf ihn.
Jesse stieß den Schlüssel ins Schlüsselloch, sperrte auf und stürmte in die Wohnung. Stiefel, Rucksack, Handschuhe, Jacke und Mütze fielen hinter ihm zu Boden. Für einen Snack hatte er keine Zeit mehr. Schnell, schnell.
Er sprang zum Tisch und startete gerade den Laptop, als seine Mutter durch den Flur rief: «Jesse, alles in Ordnung?»
«Ja, Mom. Ich muss nur schnell an diesem Spiel teilnehmen.»
«Jesse?»
«AthleteAnimalz … alles in Ordnung, verdammt.» Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, biss sich Jesse auf die Unterlippe, denn er hätte sich in Acht nehmen sollen, was er sagte. Wenn er frech wurde, erteilte ihm seine Mutter manchmal Computerverbot. Er hielt inne. Seine Hand schwebte immer noch über der Tastatur, die Augen waren starr auf den Bildschirm des alten Laptops gerichtet, der langsam zum Leben erwachte.
Seine Mutter aber blieb, wo sie war, sagte auch nichts mehr. Vielleicht telefonierte sie wieder. Jesse hatte ein schlechtes Gewissen, war aber gleichzeitig froh. Während der Rechner hochfuhr, rannte er los, um sich Zombie-Bear und ein Glas Milch zu holen. Die Herduhr verriet ihm, wie spät es war. 13:42 Uhr.
Ja, er war spät dran. Viel zu spät.
Er rannte an den Tisch zurück, verschüttete einen Schluck Milch und musste in die Küche zurück, um einen Lappen zu holen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Ihm war heiß. Er zitterte und drohte in Tränen auszubrechen, wobei ihm gar nicht klar war, warum.
Er kam zu spät, und Helmet Hippo würde sauer auf ihn sein. Außerdem hatte er auf die Frage seiner Mutter frech geantwortet. Wahrscheinlich war auch sie jetzt sauer. Dabei wollte er doch nur einem Freund gefallen. Er wollte alles richtig machen und gemocht werden, wollte, dass seine Mutter nicht so viel arbeiten musste und dass Mrs. Flowers aus der Wohnung unter ihnen nicht immer mit dem Besenstiel gegen die Decke hämmerte, wenn er leise aufzutreten versuchte und dann doch nicht so leise war.
Jesse ließ sich vor dem Computer auf den Stuhl fallen, rief AthleteAnimalz auf und versuchte, seine Tränen zurückzuhalten. Mist, ja, er kam zu spät, aber er wollte nicht flennen wie ein Baby.
Homerun-Bear hatte Post. Jesses Arm zitterte so sehr, dass er dreimal das Mailbox-Icon mit dem
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