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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Mal krachen.
    Für einen so massigen Kerl war Stan ziemlich schnell. Er sprang auf die Beine und verschwand im Kinderzimmer. Ob ich ihn erwischt hatte oder nicht, blieb fraglich. Ich wartete auch nicht, um mich zu vergewissern, sondern rannte durch den Flur aufs Schlafzimmer zu. Er ballerte hinter mir her. Vor meinen Füßen wirbelten Teppichfetzen auf. Rigips regnete von oben auf mich herab.
    Er schoss noch schlechter als ich. Nur gut, dass er die letzten Stunden in einer Bar zugebracht hatte und nicht mehr zielen konnte.
    Ich schlug ein paar Haken und stürmte ins Schlafzimmer. Ein weiterer Schuss krachte, als ich mich über den Fenstersims wälzte. Der Aufprall auf der Metallplattform der Feuertreppe tat höllisch weh. Sie geriet unter mir ins Wanken. Benommen lag ich auf dem umgitterten Ausstieg. Wenn ich jetzt hinterm Fenster aufgetaucht wäre, hätte er leichtes Spiel mit mir gehabt.
    Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, setzte ich mich in Bewegung und suchte nach der ersten Sprosse treppab, wobei ich mir an dem ersten nach oben führenden Tritt den Kopf stieß. Im Zurücktaumeln spürte ich, wie sich mir eine riesige Pranke in die Schulter krallte.
    Stan lehnte aus dem Fenster und hielt mich fest.
    «Hab ich dich! Das wird dir leidtun, Mädchen. Ich hole jetzt meine Axt, und dann rechnen wir ab.»
    Ziemlich dumm, was er da sagte, denn ich hatte ja meine Waffe in der Hand. Ein kurzer Schlenker, und die Mündung meiner 22er klebte an seiner Schläfe.
    Stan rührte sich nicht. Seine Augen gingen auf. Sein Mund formulierte ein stummes Oh, durch das er heftig einatmete, als ich Druck auf die Waffe gab. Er hielt mich mit der linken Hand gepackt, während die rechte, in der seine Waffe steckte, nutzlos im Schlafzimmer zurückblieb, weil sein massiver Rumpf den Fensterausschnitt blockierte.
    Schlachten entschieden sich in den ersten zwei Sekunden oder aber in den letzten zwei Minuten.
    Die Feuerleiter wackelte hin und her. Mir war, als surfte ich durch die Luft. Ich lächelte Stan an, stieß einen Schwall Luft aus und sah, wie sie in der kalten Nachtluft verdampfte.
    Die Szenerie war wie geschaffen für das, was ich mir vorgenommen hatte.
    Drück ab, dachte ich. Für Tomika und Michael und Mica.
    Für Stans Hammer und jeden Finger, den er damit zerschlagen hatte, für jede unerträgliche Nacht in seinem Beisein.
    Ich wollte es so. Ich brauchte es so.
    Für den kleinen Jungen aus Colorado, der mir immer noch nicht aus dem Kopf gegangen war. Für all die weinenden Kinder, all die entsetzten Frauen, die die 911 anriefen und Probleme hatten, die keiner meiner Kollegen und auch kein Uniformierter lösen konnte.
    Drück ab, dachte ich.
    Das Baby, weinend im Flur. Ich konnte es wieder hören, von nahem, ganz nah. Das Baby, im Haus meiner Mutter, weinend hinten im Flur.
    Aus Kettchen und Ringen und zierlichen Dingen, ja, daraus sind junge Mädchen gemacht.
    Das hätte ich der Krankenschwester sagen sollen. Wenn ich es ihr doch nur gesagt hätte! Warum hatte ich das der netten Schwester nicht gesagt?
    DRÜCK AB!
    Drück endlich ab, verdammt!
    Ich schaffte es nicht. Ich starrte auf das Weiße in Stans Augen und presste die vernickelte Halbautomatik fester und fester gegen seine Schläfe. Meine Hand zitterte wie wild.
    Statt zu schießen, holte ich zum Schlag aus und hämmerte ihm die Waffe vor den Schädel.
    Stan heulte auf. Er ließ von mir ab und taumelte zurück ins Schlafzimmer.
    Ohne mich noch einmal umzublicken, hastete ich die uralte Feuerleiter hinab. Die rostigen Stufen zitterten, die ganze Konstruktion bebte, während ich mich halb schlitternd, halb springend von einer Plattform zur nächsten hangelte, verzweifelt darauf aus, die Straße fünf Etagen tiefer zu erreichen.
    Stan streckte schon seinen rechten Arm zum Fenster hinaus, entschlossen, mich zur Strecke zu bringen. Ihm war absolut zuzutrauen, dass er kaltblütig auf eine Frau abdrückte.
    Ich spürte, wie die Feuerleiter unter seinem Gewicht ächzte, hörte, wie er seine Massen über die Plattform im fünften Stock wuchtete.
    Schneller, schneller. Mir blieb nicht viel Zeit.
    Die Feuerleiter bebte und knarrte bedrohlich.
    «Gleich hab ich dich», bellte Stan von oben herab. «Ich mach dich fertig. Was hast du mit meiner Familie zu schaffen? Wo ist meine Tomika? Rede, Mädchen. Rede, oder ich puste dir dein verdammtes Hirn weg.»
    Im fünften Stock sprang eine Schraube aus der Verstrebung zwischen Leiter und Ziegelwand. Pling. Dann noch eine, eine

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