Der Tag, an dem du stirbst
macht uns fertig!», platzte es plötzlich aus ihr heraus.
«Kann man so sagen», pflichtete ihr Alex bei.
«Dabei ist er erst zehn Wochen alt. Wie schafft es ein so kleiner Wurm, uns in die Knie zu zwingen?»
Alex fixierte seinen schreienden Sohn. «Es war schon immer so, dass die Jugend dem Alter überlegen ist. Sie hat mehr Ausdauer und erholt sich schneller.»
«Aber wir sind doch selbst starke, intelligente, einfallsreiche Menschen. Wir können uns von einem Säugling doch nicht unterbuttern lassen. Ich war mir sicher, dass wir uns behaupten können, zumindest bis er siebzehn ist und sein eigenes Auto fordert. Apropos. Wenn er in drei Jahren sein eigenes Handy verlangt, lautet die Antwort nein. Und wenn er fünf ist und sich in Facebook anmelden will, heißt die Antwort ebenfalls nein.»
Alex starrte sie aus glasigen Augen an. «Einverstanden.»
«Wusstest du, dass fünfjährige Jungs dem Beuteschema bestimmter Internettäter entsprechen?»
Alex schaute sie entgeistert an. «Nein.»
«Tja, große böse Welt da draußen. Und nicht nur da, sondern auch in dem schicken, schlanken Laptop auf dem Tisch.»
Alex fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. «Naja, hätte heute Nacht wohl sowieso nicht schlafen können. Sprichst du von deinem neuen Fall?»
«Ja. Ellen O von der Sitte assistiert mir. Sie ist spezialisiert auf Internettäter. Sie und Phil haben heute den ganzen Tag die Computerprotokolle zweier Opfer beziehungsweise Täter ausgewertet.»
«Hängen die beiden Fälle zusammen?», fragte Alex.
«Wahrscheinlich», antwortete D.D. «Aber dummerweise gibt es so viele Websites, auf denen sich beide Täter getummelt haben, dass es schwer ist, den Spuren zu folgen. Die Frage ist nicht, ob sie sich online begegnet sind, sondern auf wie vielen verschiedenen Websites, in wie vielen Nutzergruppen und Chatrooms. Das rauszukriegen wird dauern.»
«Ist Neil immer noch dabei, die Fotos zu sichten?»
«Ja. Der arme Kerl. Hat gerade erst den ersten von sechs Kartons geschafft und sieht schon aus wie ein Zombie. Eigentlich bräuchte er eine Auszeit. Ich habe heute mit ihm zu reden versucht, aber er lässt nicht locker.» D.D. seufzte in Gedanken an ihren jungen Teamkollegen. «Seine Naivität ist geradezu bewundernswert.»
Sie legte sich Jack auf die andere Schulter und schaukelte ihn weiter. Seinem Wimmern nach zu urteilen mochte er die linke Schulter ebenso wenig wie die rechte.
Alex stand auf. «Soll ich dich mal ablösen?» Er deutete auf Jack, der mit beiden Beinen heftig austrat.
D.D. massierte den Rücken ihres Sohnes, frustriert darüber, dass sie ihn nicht beruhigen konnte. Sie wusste sich nicht zu helfen und sah sich darin bestätigt, keine gute Mutter zu sein und zu dem Kleinen ein ebenso distanziertes Verhältnis zu haben wie ihre Eltern zu ihr. Sie konnte es nicht ertragen, dass ihr Baby unzufrieden war, obwohl sie sich doch so sehr bemühte, das Richtige zu tun, das Richtige zu sagen, damit er Ruhe gab. Sie hatte ihm frische Windeln angelegt, den Bauch massiert, Liedchen vorgesungen, ihn gewiegt, durch die Wohnung getragen und um den Block chauffiert. Vergeblich.
Das Baby weinte. Und seine Eltern waren alt.
«Okay», sagte sie widerwillig.
Alex kam auf sie zu. «Was steht im Bericht der Ballistik?», fragte er und hob Jack an seine Brust. «Deutet sonst noch irgendetwas darauf hin, dass die beiden Fälle zusammenhängen?»
«In der Tasche des ersten Opfers steckte eine Nachricht», antwortete D.D. «Dieselbe, die unter meinem Scheibenwischer klemmte. Irgendwann muss jeder sterben. Sei tapfer. Geschrieben in derselben akkuraten Handschrift.»
Alex war beeindruckt. Jack nicht.
«Vielleicht sollten wir noch eine Runde mit ihm im Auto fahren», schlug D.D. vor.
«In unserem Zustand wär’s wohl weniger ratsam, sich ans Steuer zu setzen.»
D.D. nickte müde. Alex hatte recht. Verkehrstauglich waren sie beide nicht mehr. Darum sprachen sie über Berufliches. Es war das einzige selbstverständliche Thema, das sie hatten.
«Die Ballistik will morgen ihren Bericht einreichen», murmelte sie.
«Vor oder nach der Ankunft deiner Eltern?»
«Verflucht!»
Alex blieb stehen. «Hätte ich dich daran besser nicht erinnern sollen?»
«Wir sollten einfach abhauen», sagte D.D. Ihr wurde alles zu viel. Sie war müde, und ihr Baby hasste sie. Die Aussicht auf ihre Mutter gab ihr den Rest.
«Und wenn ich mich mit deinen Eltern treffe?», schlug Alex vor. «Ich könnte Jack von der Tagesmutter abholen
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