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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Gutes kleines Mädchen.
    Mutter konnte stolz auf mich sein.
    Dick gab schließlich auf. Voller Abscheu kletterte er aus dem Ring, beschimpfte mich, weil ich mich nicht gewehrt, und beschimpfte sich selbst, weil er ein wehrloses Mädchen geschlagen hatte.
    Das reichte mir. Ich nahm endlich Notiz von meinen Schmerzen. Und dass mich jemand als wehrloses Mädchen bezeichnet hatte, änderte alles.
    Ich attackierte meinen fünfundfünfzigjährigen, graustoppeligen, kampfgestählten Boxchampion und versuchte, ihn zu töten. Ich piesackte ihn mit meiner Führhand, platzierte rechte Haken, Uppercuts, linke Haken, saftige Geraden und Nierenjabs. Ich jagte ihn durch den Ring, von Ecke zu Ecke, und verspürte etwas, das ich noch nicht an mir kannte – rasende, unwiderstehliche Wut. Es war nicht bloß die gute, achtundzwanzig Jahre alte Wut auf meine Mutter, sondern eine viel bessere, schärfere – die auf mich selbst. Weil ich immer alles eingesteckt hatte. Weil ich über all die Jahre ein so gutes und so braves Mädchen gewesen war. Weiß Gott, ich hatte mich immer zurückgenommen. Damit war jetzt endgültig Schluss.
    Am Ende unserer Trainingsstunde hatte mein Trainer ein blaues Auge und eine geschwollene Nase. Ich hatte zwei blaue Augen und eine schwere Rippenprellung. Und wir waren beide aus dem Häuschen.
    «Genau so!», meinte er immer wieder und bekleckerte den Ring mit seinem Blut. «Ich wusste, du hast es drauf. Ich wusste es. Das nenne ich Boxen, Charlie. Das ist echte Hingabe an den Punch!»
    Ja, ich wollte nicht sein wie Tomika Miller, auf der Flucht und ständig in Angst vor Verfolgung.
    Ich wollte, dass der Einundzwanzigste vor der Tür stand. Ich wollte die Tür öffnen und meinem Killer in die Augen sehen.
    Und ich wollte ihm die Fresse polieren, bevor er sich drei Kugeln von mir einfing: eine für Randi, eine für Jackie und eine für mich.
    Ein gutes Mädchen war ich einmal.
    Jetzt hatte ich den Entschluss gefasst, nie mehr ein gutes Mädchen zu sein.

    Um 20:26 Uhr erreichte ich Tomikas Apartment im sozialen Brennpunkt der Stadt. Man hatte mir gesagt, dass Stans Schicht bei seinem Wach- und Schließdienstunternehmer um sieben endete. Normalerweise kippte er dann noch ein paar Drinks mit seinen Spezis, bevor er gegen neun nach Hause kam, um seine Familie zu tyrannisieren.
    Ein Bär von Mann. Eins neunzig, knapp hundertdreißig Kilo. Untrainiert. In seinem Job hockte er in der Pförtnerloge irgendeiner größeren Fabrik und kontrollierte Ausweise. Seinen Lohn von zwölf Dollar in der Stunde bekam er im Grunde nur für sein bedrohliches Aussehen. Was ihm offenbar so stank, dass er sich nach Feierabend austoben musste.
    Laut Tomika besaß er eine stattliche Sammlung von Feuerwaffen und lief oft bewaffnet herum. Woher er seine Knarren hatte, wusste sie nicht; sie hatte auch nie gefragt. Jedenfalls ballerten er und seine Spezis damit gern spätabends an der Feuertreppe hinterm Haus auf leere Bierdosen. Keiner von ihnen schien Probleme zu haben, an Schusswaffen heranzukommen.
    Mir blieb also noch ungefähr eine halbe Stunde zur mentalen Vorbereitung auf einen Koloss, der möglicherweise schwer bewaffnet war.
    Meine Handteller schwitzten. Mein Herz hämmerte in der Brust.
    Ich teilte meinen Plan in kurze Schritte auf. Zuerst schaute ich mich in der Wohnung um und drehte sämtliche Glühbirnen aus der Fassung. Dunkelheit war meine Freundin, Überraschung mein größter Vorteil.
    Wenn Stan in der Tür stand, würde ihn die Flurbeleuchtung von hinten anstrahlen. Diese ersten zwei Sekunden musste ich für mich nutzen: er, nichts ahnend und von Licht umkränzt, und ich ein Schatten im dunklen Hintergrund des Wohnzimmers.
    Mein Countdown bis zum 21. Januar würde weiterlaufen, seiner wäre zu Ende.
    Im nächsten Schritt durchwühlte ich auf die Schnelle sämtliche Schubladen in Küche und Schlafzimmer. Ich fand eine 22er und eine winzige Pistole samt Holster fürs Fußgelenk. Letztere steckte ich ein, die 22er warf ich ins Klo. Dann entdeckte ich Stans Werkzeugkasten und machte mich an die Arbeit. Eine Vorsichtsmaßnahme griff in die andere.
    Im Schlafzimmer öffnete ich das Fenster vor der wackligen Feuertreppe. Es empfiehlt sich immer, für einen alternativen Ausstieg zu sorgen, vor allem dann, wenn sich Nachbarn, von Schüssen alarmiert, im Flur drängen.
    Eine Minute nach neun. Ich wurde flattrig und ärgerte mich darüber. Nerven? Verflucht, ich hatte ein Jahr lang hart trainiert. Wozu da noch Nerven? Tut mir leid,

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