Der Tag, an dem du stirbst
Sie haben es verdient, als Kinder angesehen zu werden. Und wenn du feststellst, dass deine Grenzen erreicht sind, ist das gut. Danke.»
«Ich glaube nicht, dass er sich an ihnen vergriffen hat», sagte Neil.
Phil schaute ihn an. «Was soll das heißen?»
«Ich habe vier von sechs Kartons gesichtet. Die Fotos sind sehr unterschiedlich. Polaroids aus den Achtzigern, vergilbte Bilder aus den Siebzigern. Von Jungen, Mädchen, aber auch Teenagern, schwarzen wie weißen, auf der Straße, in irgendeinem Haus oder einem Hotel. Ich glaube, Laurent hat diese Fotos gesammelt. Könnte sein, dass er sie aus dem Netz heruntergeladen oder sie von anderen Sammlern bezogen hat …» Er warf Detective O einen Blick zu.
Sie nickte. «Ja, dass in solchen Kreisen mit Fotos und Videos gehandelt wird, ist üblich. Manche begnügen sich damit. Sie ahnen gar nicht, wie viele stinknormale Familienväter wir dabei erwischen, dass sie kinderpornographisches Material horten. Sie behaupten, das sei harmlos; es halte sie davon ab, tatsächlich übergriffig zu werden.»
«Ich finde diesen Fall echt zum Kotzen», meinte Neil.
D.D. konnte ihm das nachempfinden, wurde aber etwas ungeduldig. «Es könnte also sein, dass Stephen Laurent kein Kinderschänder war, sondern nur pornographisches Material gesammelt hat?»
«Solche eher harmlosen Sammler gibt’s in der Tat», erwiderte Detective O. «Ich bezweifle allerdings, dass Laurent nur ein passiver Päderast war. Er hat diese Kopien von Chatroom-Gesprächen, in denen von Straftaten die Rede ist, und vergessen Sie nicht, er hatte einen kleinen Hund.»
«Vielleicht hat er mit Kinderpornographie angefangen und ist erst allmählich dazu übergegangen, Kinder zu missbrauchen», meinte D.D.
«Auch das wäre nicht untypisch. Die einschlägigen Chatrooms tragen zu dieser Form von Eskalation maßgeblich bei, denn sie bieten den Tätern – und das sind durchweg schwache Personen mit geringem Selbstwertgefühl – Rückhalt und Unterstützung. Sie fordern mehr oder weniger direkt dazu auf, den sexuellen Phantasien freien Lauf zu lassen und Ausdruck zu verleihen. Übrigens gibt es solche Chatrooms auch für Vergewaltiger. Vielleicht auch für Serienkiller, wer weiß.»
«Zum Kotzen», wiederholte Neil.
D.D. kam auf eine Idee. «Was können wir nach Lage der Dinge über Stephen Laurent sagen? War er Meister oder Lehrling?»
«Lehrling», antwortete O, ohne zu zögern. Sie richtete den Blick wieder auf Phil. «Das geht doch aus seinem Computer eindeutig hervor, oder? Er sammelte Informationen für seinen Auftritt in der Starrolle.»
Phil stimmte ihr mit einem Kopfnicken zu.
«Und das erste Mordopfer?», fragte D.D. «Antiholde. Besuchte der auch diese Chatrooms?»
«Sogar denselben», antwortete Phil.
«Als Meister oder als Lehrling?»
«Trainer», beschied Phil. «Dafür spricht allein schon seine Strafakte. Laurent war noch nicht auffällig geworden, aber Antiholde. Er wurde gefasst und bekam eine Bewährungsstrafe. Ich wette, er hat diesen Chatroom aus zwei Gründen besucht – um mit seinen Erfolgen zu prahlen und um seine Strategien für zukünftige Übergriffe zu verbessern. Er war mit Sicherheit erfahrener als Laurent.»
«Suchte aber trotzdem nach weiteren Informationen und Ratschlägen», sagte D.D.
«Das ist in Pädophilenkreisen üblich», erklärte O. «Wer sich von seinen eigenen Trieben unterjocht fühlt, lebt ständig mit der Gefahr, erwischt zu werden. Deshalb loggt er sich immer wieder ein.»
«Wie viele Nutzer hat dieser Chatroom?», wollte D.D. wissen.
«Das lässt sich nicht genau sagen. In den Kopien tauchen ein paar Dutzend aktive Teilnehmer auf.»
«Die sollten wir ausfindig machen.»
«Das versuchen wir bereits», entgegnete Detective O. «Leider sind Pädophile ziemlich geschickt, wenn es darum geht, elektronische Spuren zu verwischen.»
«Aber unsere Mordopfer haben eine Gemeinsamkeit, nämlich diesen Chatroom. Identifizieren wir die Nutzer, und wir finden den Killer … oder das nächste Opfer.»
«Noch einmal», erinnerte Phil, «wir haben nur Kopien und keinen Zutritt zum Chatroom. In den Abschriften finden sich rund zwei Dutzend Teilnehmer, und das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Mitglieder lauern im Hintergrund solcher Foren. Es gibt wahrscheinlich Hunderte, wenn nicht Tausende anderer Nutzer, die selbst nicht in Erscheinung treten beziehungsweise für uns unsichtbar bleiben. Wir versuchen, an die Nutzernamen derjenigen
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