Der Tag, an dem du stirbst
Straßenzug. Ich keuchte fast so zwanghaft wie Tulip. Von den anderen Fahrgästen nahm ich keine Notiz, auch nicht von der Umgebung. Ich zählte bloß die Haltestellen mit und wünschte mir verzweifelt, diesen verfluchten Bus verlassen zu können.
Endlich, nachdem mein vermutlich zuerst rot glühendes Gesicht bleich und dann alarmierend grün geworden war, erreichte ich mein Ziel. Die Türen öffneten sich. Ich versuchte, mir Platz zu verschaffen. Vor mir versuchte Tulip, sich durch einen Wald aus dicken Stiefeln und flappenden Mantelsäumen zu winden.
«Entschuldigung, Entschuldigung, ich muss hier raus.» Von der frischen Luft unwiderstehlich angezogen, drängte, schob und zwängte ich mich auf den Ausgang zu. Wir schafften es schließlich. Die Busfahrerin und ich tauschten letzte wütende Blicke. Dann sprangen wir die Stufen hinunter auf hart gefrorenen, festen Grund und entfernten uns im Laufschritt von der metallenen Sauna.
Am Rande nahm ich wahr, wie sich die Türen hinter mir schlossen und der Bus langsam anfuhr. Ich schnappte gierig nach Luft und öffnete den Mantel über meinem schweißnassen Vlies.
Die Ledertasche baumelte an meiner Hüfte. Der Jackensaum flappte um meine Oberschenkel.
Endlich raus aus dem Bus, endlich wieder in Bewegung. In anderthalb Meilen würden wir, Tulip und ich, unser Ziel erreicht haben, eine sanft geschwungene Landschaft jenseits der dicht verbauten Stadt.
Ich fühlte mich sicher. Erleichtert. Ich war sogar ein bisschen optimistisch.
Bis ich plötzlich von hinten attackiert wurde.
Er packte mich am Kragen und zerrte mir die Jacke über die Schultern nach unten. In weniger als einer Sekunde war mein linker Arm, von Ärmel und Kragen gefesselt, außer Kraft gesetzt. Der rechte Kragenaufschlag aber blieb unter dem Gurt meiner Umhängetasche hängen, den ich diagonal über den Oberkörper gestreift hatte. Seine Hand verfing sich darin.
Ich rührte mich nicht und stand für eine Weile mit offenem Mund da, während mir der (unsinnige) Gedanke durch den Kopf schoss: Aber wir haben doch erst den Zwanzigsten!
Mein Angreifer zerrte am Taschengurt und riss ihn mir, die ich wie angewurzelt dastand, über den Kopf. Er verfing sich in Tulips Leine, die meiner Hand entglitt. Die Tasche fiel zu Boden und wurde von meinem Angreifer beiseitegetreten.
Dann schlossen sich seine Hände um meinen Hals.
Verspätet meldeten sich meine Instinkte zurück. Ich dachte nicht mehr darüber nach, was geschehen war, sondern reagierte darauf. Zuerst kämpfte ich mit meiner eigenen Jacke.
Während mein Angreifer immer fester zudrückte und mir den Atemweg abschnürte, rammte ich ihm den im Ärmel verhedderten Ellbogen in die Seite. Als er nach links auswich, schlüpfte ich blitzschnell aus der Jacke und befreite Hände und Arme.
Er hielt mich immer noch an der Gurgel gepackt. Mit weit aufgerissenem Mund rang ich nach Luft. Aufgebläht vom Druck wachsender Panik drohten mir die Lungen zu platzen.
Aber wir haben doch erst den Zwanzigsten!
Kämpfen, ich musste kämpfen, hatte aber nur gelernt, nach vorn auszuteilen. Den Kopf zu ducken, abzublocken, zuzuschlagen. Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als nach hinten auszutreten, meinem Angreifer den Absatz auf die Kniescheibe zu rammen. Ihm weh zu tun, ihn mattzusetzen. Ich musste irgendwie dafür sorgen, dass er von mir abließ.
Gebell. Tulip rannte um unsere Füße herum und zog die Leine hinter sich her.
Weiße Funken flimmerten mir vor den Augen.
Auszutreten und mich zu winden nutzte nichts. Es hatte auch keinen Zweck, an den Fingern zu zerren, die mir den Hals zudrückten.
Das also hatten auch Randi und Jackie am eigenen Leib erfahren.
Diesen unerträglichen Druck auf der Brust. Diesen so elementaren Hunger nach Atemluft, der, wenn er nicht gestillt wird, einen ganz eigenartigen Schmerz hervorruft. Ich glaubte, spüren zu können, wie eine Körperzelle nach der anderen abstarb und einen letzten Schrei ausstieß.
Das Baby hinten im Flur, es weint.
Ich weiß, ich weiß. Ich hätte es dir sagen sollen.
Ich weinte. Er brachte mich um, und statt mich zu wehren, ließ ich mich von alten Schuldgefühlen niederdrücken. Ich hatte dem Baby nicht geholfen und mich von meiner Mutter quälen lassen. Ich hatte meine besten Freundinnen verloren.
Tulip bellte und jaulte plötzlich vor Schmerzen. Er trat nach meiner Hündin. Mein Angreifer vergriff sich an ihr.
Das konnte ich unmöglich hinnehmen.
Ich ließ mich fallen. In dunkler Erinnerung an ein
Weitere Kostenlose Bücher