Der Tag, an dem du stirbst
heranzukommen, die in den Abschriften auftauchen. Aber vermutlich läuft es darauf hinaus, dass wir die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen suchen.»
«Habe ich richtig verstanden, dass eine Einladung Voraussetzung für den Zugang zu diesem Chatroom ist?», fragte D.D. nach. «Wie also schaffen wir es, eingeladen zu werden?»
«Keine Ahnung», antwortete O. «Wahrscheinlich über den Freund eines Freundes oder so. Man trifft sich in anderen Foren, tauscht Pornos aus, und wenn dann der eine dem anderen vertraut, wird er ihm vielleicht den besagten Chatroom empfehlen und eine Einladung aussprechen.»
«Aber es besteht doch offenbar Bedarf an geeignetem Nachwuchs.»
«Ja. Es wäre vielleicht möglich, dass wir uns als Teenager ausgeben und undercover operieren. Wir legen uns eine virtuelle Identität zu, die im Netz die einschlägigen Adressen besucht und einem Pädophilen früher oder später ins Auge fällt. Solche verdeckten Ermittlungen im Netz sind übrigens längst üblich. Aber es dauert oft Monate, bis das fruchtet. Dazu lässt uns unser Killer keine Zeit.»
«Wir brauchen einen Hacker», meinte D.D.
«Richtig.»
«Oder …» D.D. dachte kurz nach. «Ich frage mich, ob sich der Mord an ihren beiden Mitgliedern im Chatroom rumgesprochen hat. Wenn nicht, könnten wir uns doch unter deren Nutzernamen und Passwörtern einloggen. Wir treten als Stephen Laurent und/oder Douglas Antiholde auf.»
«Die Nutzernamen und Passwörter müssen wir erst identifizieren», sagte Phil.
«Das dürfte für unsere Experten doch wohl kein Problem sein, oder?»
Phil und Detective O nickten.
«Ja», sagte Phil. «Dauert vielleicht ein paar Tage, aber möglich ist’s.»
«Also gut, wir geben uns als Stephen Laurent aus und loggen uns mit Hilfe seiner Zugangsdaten ein. Wir beobachten, lernen einiges dazu und finden, wenn wir Glück haben, unseren Mann … oder unsere Frau, was auch immer.»
«Frau?»
D.D. hatte den Kollegen noch nichts von ihrem Gespräch mit dem Handschriftenexperten gesagt und fand, dass es dazu jetzt wahrscheinlich an der Zeit war. «An den Tatorten wurde jeweils eine Nachricht sichergestellt. Darauf stand: Irgendwann muss jeder sterben. Sei tapfer . Der Handschrift nach wurde sie sehr wahrscheinlich von einer Frau verfasst, offenbar einer ziemlich pedantischen Person aus gebildeten Kreisen. Ich schätze, sie trägt Faltenröcke. Apropos, lassen sich aus den Chatroom-Gesprächen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Nutzer ziehen? Kann zum Beispiel zwischen Mann und Frau unterschieden werden?»
Phil und O schüttelten den Kopf. Beide schienen nachzudenken. D.D. spürte zwischen ihren Schulterblättern jenes Gefühl, das ihr als Ermittlerin guttat. Sie sah sich auf der richtigen Spur. Endlich kam sie voran.
Bald wäre die Nuss geknackt. Sie würden ihren Mann stellen … oder ihre Frau.
«Muss ich sonst noch etwas wissen?», fragte sie. Ihre Kollegen schüttelten die müden Köpfe. «O», sagte D.D., «Sie helfen Neil noch bei den Fotos, oder?»
O nickte. Neil fand es sichtlich peinlich, Hilfe in Anspruch zu nehmen, widersprach aber nicht.
«Neil», fuhr D.D. fort, «wir sehen uns um zehn in meinem Büro. Phil, du hast um zwölf Feierabend. Geh nach Hause und ruh dich aus. O, Sie haben jetzt schon frei; ich will Sie vor morgen Mittag hier nicht sehen. Denken Sie daran, wir haben einen Marathon vor uns, keinen Sprint.»
Phil runzelte die Stirn. «Uns hast du noch nie vorzeitig nach Hause geschickt.»
«Willst du dich beklagen?»
Er schwieg.
D.D. beendete die Sitzung und kehrte in ihr Büro zurück, wo sie den jüngsten Bericht der Spurensicherung aufschlug und sich innerlich auf ihren zweiten Fall an diesem Tag vorbereitete: den angeblich kurz bevorstehenden Mord an Charlene Rosalind Carter Grant.
D.D. griff zum Telefonhörer und wählte.
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19. Kapitel
Wer trainiert, versetzt sich in Bereitschaft. Man übt bestimmte Bewegungsabläufe immer wieder ein, um nicht in Schockstarre zu verfallen, wenn der kritische Moment kommt, sondern um automatisch richtig zu reagieren und den Angriff abzuwehren.
So funktioniert es zumindest theoretisch.
Tulip und ich verließen die Polizeidienststelle von Grovesnor um kurz nach acht. Officer Mackereth fuhr uns diesmal nicht nach Hause. Die schwache Morgensonne kam gegen den dichten Hochnebel kaum an. Am Horizont zogen Schneewolken auf; ich konnte sie schmecken. Die Kälte kroch mir durch Mantel, Mütze und Handschuhe.
Auch
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