Der Tag, an dem du stirbst
Tulip fror in ihrem kurzen braun-weißen Fell. Sie zitterte.
Ich versuchte es fünf Minuten lang, ein Taxi zu kriegen, hatte aber kein Glück, und Tulip zitterte immer heftiger.
Endlich kam ein Bus. Die Richtung stimmte. Also stieg ich ein, gefolgt von Tulip.
Am Steuer saß eine schwergewichtige schwarze Frau mit krausen grauen Haaren und einem Gesicht, das schon alles gesehen zu haben schien. Sie schüttelte den Kopf. «Hier kommen, wenn überhaupt, nur Behindertenbegleithunde rein.»
«Sie ist ein Behindertenbegleithund. Irgendein Idiot hat ihr das Halsband abgenommen, direkt vor der Polizeistation. Man fasst es nicht. Schauen Sie sie an. Sie friert sich zu Tode.»
Tulip half nach und schenkte der Busfahrerin einen besonders wehleidigen Blick.
Hinter mir wollten noch vier weitere Fahrgäste an Bord. Sie wurden ungeduldig, auch ihnen war kalt.
Die Fahrerin achtete nicht auf sie und starrte mich an.
«Was für eine Behinderung haben Sie?», wollte sie wissen.
«Erdnussallergie.»
«Dafür braucht man keinen Hund.»
«Und ob.»
«Braucht man nicht.»
«Braucht man doch», mischte sich der Mann hinter mir ein. «Was ist jetzt? Entweder Sie lassen sie einsteigen, oder Sie schmeißen sie raus. Es ist verdammt kalt draußen.»
Ich warf ihm einen drohenden Blick zu und schaute dann auf die Sitzreihen, die sich mit Fahrgästen füllten. «Hat jemand heute Erdnussbutter zum Frühstück gegessen?», rief ich in den Bus. «Oder hat jemand zufällig Erdnüsse im Portemonnaie?»
Ich hielt meine Monatskarte vor den Scanner und setzte Tulip im Mittelgang ab. Als wäre damit die Sache entschieden, ging ich, von Tulip dicht gefolgt, durch den Bus nach hinten. Die Busfahrerin glaubte mir vermutlich immer noch nicht. Aber es war schweinekalt draußen, und sie hatte wohl keine Lust, einen Aufstand zu machen, der jede Menge Papierkram nach sich ziehen würde.
Ich hatte gelogen und kam damit durch. In meinem Übermut war ich ein bisschen frech geworden. Mein zweiter Fehler an diesem Morgen.
Es war tatsächlich alles nur eine Frage der Zeit.
Ich musste stehen und griff mit der rechten Hand nach der Haltestange über meinem Kopf. Mit der linken, um deren Handgelenk ich Tulips Leine gewickelt hatte, hielt ich die Umhängetasche an mich gedrückt, um ihren Inhalt zu schützen.
Eine Regel des öffentlichen Nahverkehrs besagt: Je niedriger die Außentemperaturen, desto heißer der Fahrgastraum.
Das Heizungsgebläse lief auf Hochtouren. Die Wollmäntel und vliesgefütterten Mützen wurden hier im Inneren zur Qual. Tulip fing an zu hecheln. Mir brach der Schweiß aus. Immer mehr Passagiere drängten nach. Der Bus verwandelte sich in eine Sauna.
Nach zwanzig Minuten – die Fahrt würde ungefähr fünfundfünfzig dauern – wurde mir schlecht vom Hin und Her in den Kurven und der harten Federung des Fahrwerks. Schweißperlen rollten mir am Haaransatz entlang und sammelten sich im heißen Nacken. Die vielen dicht gedrängten Leiber, von denen offenbar nur ein kleiner Teil in letzter Zeit mal mit Wasser und Seife in Berührung gekommen war, müffelten vor sich hin.
Nach weiteren fünf Minuten musste ich die Hand von meiner Tasche nehmen, um mir den Schal zu lösen und die Mütze vom Kopf zu ziehen. Die damit geschaffene Erleichterung war marginal, zumal der Bus nun noch heftiger ins Schaukeln geriet. Von allen Seiten eingeklemmt, warf es mich hin und her. Die Fensterscheiben beschlugen.
Irgendwie gelang es mir, meine Mütze in die Tasche zu stopfen. Mit der freien Hand knöpfte ich mir nun die Jacke auf. Den oberen Knopf, den zweiten, dritten.
Unter der Jacke trug ich einen viel zu großen dunkelblauen Vliespullover, das perfekte Kleidungsstück für einen gemütlichen Sonntagnachmittag mit guter Lektüre. Jetzt aber erstickte ich fast darin. Der Kragen war schweißnass, die von der Jacke zusammengedrückten Ärmel quetschten meine Arme.
Dreißig Minuten, und noch fünfundzwanzig lagen vor mir.
Der Bus hielt an. Fahrgäste stiegen aus, neue ein. Tulip winselte und hechelte. Ich nahm die Hand von der glitschigen Haltestange und wischte mir mit dem Unterarm die Stirn.
Ruckartig fuhr der Bus wieder an. Mein Magen rebellierte.
Hatte ich immer noch meine Tasche bei mir? Vielleicht. Vielleicht nicht. Mir war heiß und elend. Ich kämpfte gegen Übelkeit an.
In Städten, müssen Sie wissen, herrschen Dschungelverhältnisse: Schwache und Behinderte werden vom Rudel ausgestoßen.
Haltestelle um Haltestelle. Straßenzug um
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