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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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der Straßenlaternen tanzen und spürte sie wie Nadelstiche im Gesicht. Barry sprang die Stufen hinunter. Er war groß und schlaksig. Es sah cool aus, wie er sich bewegte, und genauso cool redete er auch. Jesse zweifelte keinen Augenblick daran, dass alle seine Mitschüler Barry toll fänden und so sein wollten wie er. Und jetzt war er mit ihm zusammen.
    Vor der Treppe zur Bibliothek blieb der Junge stehen, zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und steckte sich eine an.
    Er sah, dass Jesse staunend zu ihm aufblickte. «Fang gar nicht erst damit an», sagte der Junge. «Die Scheißdinger bringen einen um.»
    Jesse nickte.
    Barry kramte sein Telefon hervor. «Hier, jetzt zeige ich dir, wie man’s macht.»
    Er loggte Jesse ein. Sie fanden ein Baseballspiel, bei dem sie mitmachen konnten, und Jesse wartete auf seinen Einsatz. Barry ging weiter, und Jesse musste sich beeilen, um Schritt zu halten. Er hatte nur noch Augen für das Smartphone und die Welt von AthleteAnimalz. Alles andere interessierte ihn nicht mehr.
    «Ich muss mal pissen», sagte Barry plötzlich.
    Jesse blickte zu ihm auf. Sie hatten die Bibliothek weit hinter sich gelassen und waren nicht einmal mehr in der Boylston Street. «Was?» Er ließ das Telefon sinken. Zum ersten Mal hatte er ein ungutes Gefühl. Er durfte nicht allein durch die Stadt streifen und wollte es auch nicht.
    «Ich muss mal pissen, ’ne Stange Wasser in die Ecke stellen.» Der große Junge nahm sein Handy wieder an sich und knöpfte seine Jeans auf.
    Jesse schaute weg und wurde nervös. Sie befanden sich hinter irgendeinem Restaurant, neben Müllcontainern, von denen ein übler Gestank ausging. Jesse bekam es mit der Angst zu tun und wich zurück.
    «Was ist? Wir sind doch unter uns. Hast du ein Problem damit?»
    Jesse schüttelte den Kopf, blickte aber starr vor sich hin. Er schwitzte. Spürte plötzlich, wie ihm der Schweiß im Nacken ausbrach. Ihm war schlecht, was er sich selbst nicht erklären konnte.
    Barry hatte die Hose runterrutschen lassen und hielt seinen Zipfel in der Hand.
    «Mach dir nicht ins Hemd, Jesse. Ist nur ein Penis. Du hast doch auch einen, oder?»
    «Ich will nach Hause», flüsterte Jesse.
    Dann sagte Barry mit völlig veränderter Stimme: «Das hätte dir vor ’ner halben Stunde einfallen sollen. Bevor du mit jemandem, den du überhaupt nicht kennst, die Bibliothek verlassen hast.»
    Jesse blickte nun auf. Er schaute der fremden Gefahr in die Augen und verstand mit einem Mal, wovor ihn seine Mutter immer gewarnt hatte.
    «He, was macht ihr da?», war da plötzlich eine andere Stimme.
    Jesse drehte sich um und sah eine Frau hinter sich stehen. Sie hatte braune, strack zurückgekämmte Haare, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und die gruseligsten blauen Augen, die er jemals gesehen hatte. Zweierlei an ihr fiel ihm gleichzeitig auf: Sie lächelte ihn auf eine Weise an, die er ebenso unheimlich fand wie diesen Barry, und sie trug eine Waffe.
    Den Blick auf Jesse gerichtet, legte sie einen Zeigefinger an die Lippen. «Pssst.»
    Dann wandte sie sich dem älteren Jungen zu.
    «Was soll der Scheiß?», platzte es aus ihm heraus.
    «Pink Poodle, nehme ich an.»
    «Und wer zum Teufel sind Sie?»
    «Helmet Hippo. Ich beobachte dich seit einiger Zeit. Du bist ein böser Junge.»
    Sie hob die Pistole. Barry sprang einen Schritt zurück.
    Jesse drückte die Augen zu und presste seine Hände auf die Ohren.
    Trotzdem hörte er:
    «He, Augenblick. Ich bin doch noch keine achtzehn.»
    «Irgendwann muss jeder sterben.»
    «Ich hab doch gar nichts getan …»
    «Sei tapfer.»
    «Augenblick! Ich hör auch auf damit. Es kommt nie wieder vor. Ich schwöre. Warten Sie  …»
    Ein Geräusch, irgendwo zwischen plopp und wumm . Einmal, zweimal.
    Dann war es still.
    Jesse zählte bis fünf. Langsam öffnete er die Augen. Der Junge lag am Boden, die Frau beugte sich über ihn.
    Wenig später richtete sie sich auf, ließ die Waffe unter ihrer Jacke verschwinden und wandte sich Jesse zu.
    Wimmernd wich er vor ihr zurück.
    Aber sie lächelte nur und streckte die Hand aus wie zum Gruß.
    «Hallo», sagte sie. «Kennen wir uns? Keine Sorge. Mein Name ist Abigail.»

[zur Inhaltsübersicht]
    24. Kapitel
    Ich weiß nicht mehr, wie ich es von der Polizeizentrale zurück in meine Wohnung geschafft habe. Wahrscheinlich sind wir mit der U-Bahn gefahren, Tulip und ich. In den Massen, die sich spätnachmittags in die Züge quetschen, fällt eine Frau mit Hund kaum auf.
    Ich

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