Der Tag, an dem du stirbst
schließlich ihr Ziel erreichte, war sie genervt und verspannt und außerdem ziemlich sicher, dass ihre blaue Seidenbluse, die sie vor einer Woche in Erwartung des elterlichen Besuchs gekauft hatte, ziemlich durchgeschwitzt war.
Sie fuhr ins Parkhaus und musste sich von Etage zu Etage winden, bis sie endlich das Glück hatte, einen freien Platz zu finden, im hinterletzten Winkel und so weit vom Treppenhaus entfernt wie nur möglich. Über dem Parkplatz hing ein Schild mit der Aufschrift NUR FÜR KLEINWAGEN. Vorsichtig zwängte sie ihren Crown Vic in die enge Lücke und öffnete die Tür.
Als sie den Wagen verließ, schlug ihr frostige Luft entgegen. Der abrupte Übergang von heiß zu kalt verschlug ihr fast den Atem.
Sie hätte sich beeilen und warm laufen sollen.
Stattdessen schleppte sie sich zögernd voran wie damals als kleines Mädchen, wenn sie mit einem Brief der Lehrerin in der Schultasche nach Hause zurückgekehrt war und sich auf den Ärger ihrer Mutter hatte gefasst machen müssen. Besonders schlimm war, dass ihre Mutter nie ein Wort sagte, die Lippen aufeinanderpresste und sie mit Blicken bedachte, die Bände sprachen.
Ich bin erwachsen , erinnerte sich D.D. jetzt. Eine Top-Ermittlerin, respektiert von den Kollegen und in der Halbwelt gefürchtet.
Aber es half nichts, sosehr sie sich das auch wünschte. Es half einfach nichts.
Stattdessen versuchte sie, an Alex und den kleinen Jack zu denken. Alex saß jetzt wohl ihren Eltern gegenüber, zweifellos geduldig und entgegenkommend. Sie stellte sich vor, wie er sie anschauen und lächeln würde, wenn sie das Restaurant beträte und sich zu ihnen an den Tisch setzte.
D.D. durchquerte das Parkhaus, stieg die Treppe hinunter und steuerte auf der verschneiten Straße das Restaurant an, in dem offenbar Hochbetrieb herrschte.
Vor der Tür atmete sie noch einmal tief durch und rief sich in Erinnerung, dass es einer Frau, die in Mordfällen ermittelte, nicht allzu schwerfallen dürfte, mit ihren Eltern zu Abend zu essen.
Ihre Hände zitterten.
Sie betrat das Lokal.
Alex und ihre Eltern saßen ganz hinten in einer Ecknische. Dort war es ein wenig ruhiger, aber immer noch recht laut, wie üblich an einem Donnerstagabend in einem gutbesuchten Bostoner Restaurant. Ein Kellner hatte den Stuhltrick vollführt – einen Kinderstuhl umgedreht, sodass Jacks Sitzschale fürs Auto zwischen die Holzbeine gehängt werden konnte. Alex saß auf der rechten Tischseite, ihre Eltern auf der linken.
Patsy, ihre Mutter, war floridagebräunt und hatte ihre wunderschönen silberblonden Haare hochgesteckt, was ihr elegant geschnittenes Gesicht besonders attraktiv zur Geltung brachte. Sie trug eine weite Leinenhose und einen meerschaumgrünen, ärmellosen Pullover über einer dünnen, weißen Bluse – ein Zugvögelchen, das sich zu akklimatisieren versuchte, aber anscheinend vergessen hatte, wie bitterkalt der Januar in Boston sein konnte. Roy, D.D.s Vater, war ebenso schlank und fit wie seine Frau und sah mit seinem marineblauen Sportjackett und dem weißblau gestreiften Poloshirt aus, als käme er gerade vom Golfplatz.
Wie erwartet war es Alex, der sie als Erster bemerkte. Er trug einen seiner Lieblingspullover, den dunkelroten aus Kaschmirwolle, darunter einen schwarzen Rollkragen. Als er sie sah, leuchteten seine blauen Augen auf und in seinen Augenwinkeln bildeten sich Lachfältchen.
Sie zögerte und geriet tatsächlich ins Stolpern, als ihr auf dem halben Weg durch den lauten, überfüllten Gastraum bewusst wurde, dass der bestaussehende Mann in der Menge zu ihr gehörte, ihr zulächelte und seelenruhig neben dem gemeinsamen Baby und ihren Eltern saß.
Sie erschrak regelrecht, denn sosehr sie ihn auch liebte, drängte sich ihr sofort der Gedanke auf, dass sie ihn gar nicht verdiente. Ein so gut aussehender, talentierter und kluger Mann passte besser in die Gesellschaft ihrer Eltern als zu ihr, wie sie fand.
Der Gedanke ärgerte sie. Nach all den Jahren machte sie sich immer noch klein. Möglich, dass sie nicht das Idealkind ihrer Eltern war, aber sie war der Mensch, der sie sein musste, und das sollte reichen.
D.D. hob das Kinn und ging mit festem Schritt weiter.
Sie trat vor den Tisch und öffnete den Mund, um ihre Eltern zu begrüßen.
Doch in diesem Moment piepte ihr Pager.
Alex fragte: «Alles in Ordnung?»
D.D. nahm den Pager vom Gürtel und las die Nachricht. Sie schloss die Augen. «Ich muss gleich wieder los.»
«Wie bitte?», meinte ihre Mutter
Weitere Kostenlose Bücher