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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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musste. Mit meinen kleinen Händen und meinen kleinen Beinen. Aber mein Herz war stark; es zersprengte mir fast die Brust.
    «Charlie … mach mich nicht böse.»
    Den breitblättrigen Baum hatte ich schon weit hinter mir gelassen. Ich konnte mir eine kleine Pause gönnen und band mir das Baby mit der Decke um den Bauch. Auch das hatte ich geübt. Manchmal trug ich das Baby auf diese Weise durchs Haus. Dann weinte es nicht, und wenn es nicht weinte, ging es uns allen besser.
    Die Decke wurde nass. Das Baby wurde nass. Ich wurde nass.
    Die Stimme meiner Mutter, die mir nachrief. «Charlie Grant, komm sofort zurück. Charlie Grant, mach mich nicht böse!»
    Ich langte nach dem nächsten, tiefhängenden Zweig. Er war glitschig und nicht besonders dick. Mit beiden Händen packte ich zu und kletterte hinauf zum nächsthöheren Ast des Baums.
    Schnell, schnell. Immer weiter nach oben. Der Baum war nicht sehr groß, aber das war ich ja auch nicht. Wenn ich nur wie ein Äffchen bis rauf in die Krone käme …
    Meine Mutter hatte Höhenangst. Sie würde mir nicht nach oben folgen.
    Sie kreischte plötzlich tief unter mir.
    «Charlene Grant. Komm sofort runter. Auf der Stelle! Hörst du, junge Frau? Charlene Grant, tu, was dir deine Mutter sagt!»
    Ich hangelte mich immer höher, ohne ein einziges Mal nach unten zu blicken. Ich wollte nicht sehen, wie tief ich hätte stürzen können mit dem Baby, das sich in der Decke vor meinem Bauch wand. Genauso wenig wollte ich meine Mutter sehen, die vermutlich, die Hände in die Hüften gestemmt, zu mir hochblickte mit ihren Schlangenhaaren und der klaffenden Mundhöhle und der Schaufel, die auf und ab ging, auf und ab. Ein Loch aushob, das nicht besonders groß war, aber groß genug.
    Es ging nicht weiter. Da waren keine weiteren Äste mehr. Ich zitterte am ganzen Körper. Der Regen rann mir übers Gesicht. Mit der einen Hand hielt ich mich am Ast fest, mit der anderen das Baby umschlungen.
    Meine Mutter schrie immer noch, aber der Wind trug ihre Worte davon. Von meiner Warte aus wirkte sie ganz klein. Ich konnte sie kaum mehr erkennen. So hoch oben im Baum brauchte ich keine Angst vor ihr zu haben.
    Sie würde irgendwann aufgeben, ins Haus zurückkehren und sich, schmutzig wie sie war, auf die Couch fallen lassen und einschlafen. Dann würde ich mit dem Baby vorsichtig vom Baum klettern.
    Ich würde ihm die Windeln wechseln und es in die frische Decke wickeln, die ich vor den Heizkörper gehängt hatte, damit sie warm wird. Ich würde ihm ein kaltes Fläschchen geben und mit ihm im Schoß im Schneidersitz auf dem Boden hocken.
    Wenn es eingeschlafen wäre, würde ich es in den Wandschrank hinten im Flur zurückbringen und in sein Nestchen legen, dann nach draußen in den Hinterhof gehen und im Licht der Taschenlampe das Loch zuschaufeln.
    Wenn ich alles richtig machen würde, gäbe es morgen keine Spuren mehr von dem, was sich in der Nacht abgespielt hatte. Sie wäre ungeschehen gemacht und nichts weiter als ein schlimmer Traum. Meine Mutter würde fröhlich aufwachen, vielleicht ein Lied summen und mit mir durchs Haus tanzen, lustig und ausgelassen. Sie würde das Baby herzen und küssen, und alles wäre wieder in Ordnung. Sie würde uns lieben.
    Für eine Weile wenigstens.
    Ich rückte tiefer ins Geäst. Spürte die Wärme der kleinen Schwester an meiner Brust. Hoffte, dass auch sie meine Wärme spürte, als ich meinen freien Arm um sie legte und sie an mich drückte.
    «Es ist alles gut», flüsterte ich ihr zu. «Wir haben’s bald geschafft. Wir sind fast in Sicherheit.»
    Sie weinte nicht mehr. Stattdessen starrte sie mich aus ihren großen braunen Augen an.
    Dann leuchtete ihr kleines Gesicht mit einem breiten, zahnlosen Lächeln auf.
    Sie strahlte mich an, meine wunderschöne kleine Schwester Abigail.

[zur Inhaltsübersicht]
    25. Kapitel
    Gerade noch pünktlich schaffte es D.D. zum verabredeten Ort. Alex hatte sie ins Legal Seafood gleich neben dem Bostoner Aquarium bestellt. Es lag in der Nähe des Flughafens und war bekannt für sein Essen und die schöne Aussicht aufs Wasser. D.D. kannte das Lokal gut. Als sie noch in ihrem Apartment im North End wohnte, hatte sie häufiger hier gegessen – nach einem bequemen Fußweg. Eine Anfahrt mit dem Auto zur Stoßzeit war dagegen die Hölle.
    Von der 93 kommend, hatte sie sich im dichten Verkehr von Ausfahrt zu Ausfahrt durchwursteln und vor jeder Ampel fast drei bis vier Grünphasen verstreichen lassen müssen.
    Als sie

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