Der Tag an dem ich erwachte
selbst über diesen Gedanken lachen, denn in diesem Fall war er wirklich mehr als nur abwegig: Doktor Brown, so hieß das Bürschchen, machte seinem Namen alle Ehre, denn er war tatsächlich dunkelhäutig und hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Greg. Seine Hautfarbe erinnerte mich an den Kaffee, so wie ich ihn am liebsten trank, mit sehr viel Milch verdünnt. So wie Ava ihn jeden Morgen für mich kochte. Richtig lecker. Verdammt noch mal, Gail, reiß dich zusammen, schalt ich mich streng und stellte erfreut fest, dass ich meinen neuen (aktuellen) Namen benutzte, sogar mir selbst gegenüber. Auch Ava ging er immer leichter über die Lippen, sie nannte mich immer seltener David.
„Denkst du etwa an ihn, du Luder?“, neckte sie mich und riss mich aus meinen Gedanken.
„Ach, Avie. Ich werde mich nie wieder auf einen Mann einlassen, nie wieder , das kannst du mir glauben!“, erwiderte ich heftig.
„Sag niemals nie“, lächelte sie weise. Beinahe überheblich. Dieses wissende Lächeln machte mich rasend, sodass ich einen unwiderstehlichen Drang verspürte, sie dafür zu bestrafen.
„Ich habe Lust auf Sushi!“, verkündete ich herrisch, wie ein verwöhntes Kind.
„Was? Sushi?“, fra gte Ava ungläubig nach. „Du hasst Sushi“, rief sie mir in Erinnerung. „Abgesehen davon gibt es kein einziges Sushi Restaurant hier in der Nähe. Ich müsste mindestens eine halbe Stunde lang fahren, um dir das Zeug zu besorgen!“
„Dann fahr schon mal los“, sah ich vielsagend auf die Wanduhr, „bevor sie alle schließen.“
„Gail, das ist nicht fair“, jammerte Ava, „aber ich fahre gleich los. Denn jetzt habe auch ich Lust auf Sushi, du gemeines Miststück!“
„Beeil dich, Avie!“, feuerte ich sie an, sie fluchte deftig und machte sich auf den Weg.
Endlich war ich allein. Ich fühlte mich wunderbar frei und unbeobachtet, gleichzeitig hatte ich heftige Gewissensbisse. Wie konnte ich nur so undankbar sein, wo Ava doch jede freie Sekunde ihrer kostbaren Zeit für mich opferte? Ich war ihr so dankbar für alles, was sie für mich tat, dass ich es kaum in Worte fassen konnte. Dennoch war ich auch dankbar für die wenigen Augenblicke, die ich für mich allein hatte. Nun konnte ich ungestört meinen seltsamen Gedanken an Doktor Brown nachgehen. „Ich heiße Ethan“, sagte er schüchtern, bevor er mein Zimmer letztes Mal verließ. Ava befand sich in der Küche und kochte Kaffee.
„Miss Schneider“, hörte ich plötzlich seine Stimme, die mich aus meinen Träumen erweckte, die allesamt von ihm handelten. „Ich bin es, Doktor Brown, Ethan“, sagte er leise. „Ich wollte Sie nicht wecken, schlafen Sie bitte weiter. Ich möchte nur Ihren Puls und Ihren Blutdruck messen. Alles im grünen Bereich!“, verkündete er schließlich. „Nun dürfen Sie weiter schlafen, Miss Schneider. Sie sind wunderschön“, fügte er leise zu, als er davon ausging, dass ich bereits schlief. Er fand mich wunderschön und faszinierend… Nach meinen letzten Wochen mit Ryan Boyle war mir der bloße Gedanke an körperliche Intimitäten unerträglich. Doch mein Herz sehnte sich nach der zärtlichen Zuneigung. Nicht nach der Art Zuneigung, die Ava mir schenkte, sondern nach etwas Anderem… Ach, ich wusste es selbst nicht so genau.
Endlich wurde ich aus dem Krankenhaus entlass en und zog nun endgültig in den linken Flügel von Avas Villa ein. Ich fühlte mich rundum wohl. Hin und wieder stellte ich mir vor, wie es gewesen wäre, wäre ich bereits vor Monaten in mein neues, gemütliches Zuhause eingezogen. Wenn ich bloß auf Ava gehört hätte! Dann wäre mir so viel erspart geblieben… Gleichzeitig war ich mir sicher, dass ich diese Strafe voll und ganz verdient hatte. Ryan war so etwas wie mein Racheengel, der mich für meine Sünden büßen ließ.
„Er war ein widerlicher Psychopath, der den Tod verdient hat!“, widersprach Ava mir heftig, als ich diese Gedanken mit ihr teilte. Auch unsere Psychologin vertritt dieselbe Meinung. Wir suchte n sie wieder regelmäßig auf, manchmal gemeinsam, manchmal getrennt. Sie meinte, dass ich mein Selbstwertgefühl von Grund auf neu aufbauen sollte. „Es wird ein hartes Stück Arbeit, Miss Schneider“, sagte sie, „doch wir werden es gemeinsam schaffen.“ Diese Worte erinnerten mich unangenehm an Ryan, und ich sagte es ihr. Sie schwieg eine Weile betroffen und erwiderte dann leise: „Auch das werden wir gemeinsam schaffen, Gail. Sie werden darüber hinwegkommen!“
Komm du mal über so
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