Der Tag an dem ich erwachte
anziehend, ohne Frage, doch schön… Nein, darunter verstand man etwas anderes. Erstmal war er viel älter als der Traumprinz, den ich mir während meiner schlaflosen Nächte heimlich ausmalte. Sehr viel älter, was die Fältchen, die sein markantes, männliches Gesicht zeichneten, bezeugten. Doch sie verliehen ihm gleichzeitig diese beinahe magische Ausstrahlung, der ich nicht widerstehen konnte. Mein Herz raste, und mein Unterleib pochte schmerzlich, dennoch wohlig, und ich ahnte bereits, dass er die Quelle der Erlösung aus diesem süßen Schmerz war. Umso schlimmer empfand ich die Tatsache, dass mir einfach keine geistreiche Antwort auf seine Frage einfallen wollte. Bis er mich großzügig aus der Klemme befreite: „Das macht nichts, mein schönes Kind!“, sagte er so zärtlich, dass mein armes Herz schon wieder einen Satz machte. „Sie sind noch so jung. Sie werden es noch früh genug herausfinden, tun Sie sich ja keinen Zwang an!“
„Was macht denn Sie glücklich?“, traute ich mich schließlich zu fragen.
„Vieles“, sagte er nachdenklich, als er meine Hände ergriff und meine Handinnenflächen zart mit seinen Fingern streichelte. Ich atmete nur noch stoßweise, noch nie zuvor fühlte ich mich so erregt. Er schien es wahrzunehmen, denn es zauberte sich ein kaum merkliches, wissendes Lächeln auf seine schönen Lippen. Lieber Gott, lass mich auf der Stelle sterben, betete ich im Stillen, denn, wenn meine Mutter Wind davon bekam… Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was dann p assierte. Nachdem mein Vater uns verlassen hatte, ließ sie keine Gelegenheit aus, mich vor den Männern zu warnen, vor allem vor den älteren Männern, da mein Vater auch um einiges älter als sie gewesen war. „Möchten Sie wissen, was mich momentan glücklich macht?“, fragte er und sah mir so verführerisch in die Augen, dass ich sie eilig senkte, bevor er das Verlangen darin lesen konnte, doch es war bereits zu spät. Er schob seinen Stuhl unauffällig etwas näher zu meinem und flüsterte mir ins Ohr: „Es macht mich glücklich, Sie zu betrachten. Sie sind wunderschön.“ Er hob zärtlich mein Kinn hoch. „Sie haben die wundervollsten Augen, die ich je gesehen hatte, sie erinnern mich an den Himmel im frühen Herbst, ein tiefes, samtiges blaugrau. Faszinierend!“ So hatte noch nie ein Mann mit mir gesprochen, und die warnende Stimme meiner Mutter in meinem Kopf wurde immer leiser, bis sie schließlich vollkommen verstummte. Es war mir mittlerweile egal, ob er nur mit mir spielte oder es ernst meinte, ich wäre sogar gern dazu bereit gewesen, sein Spielzeug zu sein, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Dieser Mann war so charismatisch, so erfahren… Er strahlte eine derartige Stärke und Selbstsicherheit aus, war so gebildet, so weltgewandt. Er war die Welt! Nein, ich hatte nicht die geringste Chance, egal, was für ein Spiel er mit mir trieb, ich hatte es bereits verloren. Ich war verliebt, zum ersten Mal in meinem Leben. Diese Erkenntnis traf mich mit einer solchen Wucht, dass ich mich für einen kurzen Augenblick entschuldigen musste, um auf wackeligen Beinen auf die Toilette zu gehen, wo ich eine ganze Weile ungläubig mein Spiegelbild anstarrte. Plötzlich sah ich mein Gesicht, vor allem meine Augen, in einem völlig neuen Licht und fühlte mich so schön wie noch nie zuvor. Weil das, was ich in dem Spiegel sah, eine verliebte Frau war. Ich liebte .
Wie konnte ich jemanden lieben, den ich kaum kannte, fragte ich mich in dieser Nacht, als ich mich unruhig in meinem Bett hin und her drehte, und fand keine Antwort. Du wirst ihn sowieso nie wieder sehen, sagte ich zu mir bitter. Denn er hatte erzählt, dass er nur auf einer Zwischenreise war. Er hat seinen Spaß mit dir gehabt, dich mit Komplimenten überschüttet, deine Bewunderung genossen, die du, dumme Gans, ihm so unverhohlen gezeigt hast. Morgen wird er wieder abreisen und sich nicht einmal an deinen Namen erinnern. Als ich endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, war es bereits Morgen, ich hörte das Zwitschern der Vögel und das Brummen der ersten Autos, die die Straße vor meinem Fenster entlangfuhren. Und dann klingelte schon der Wecker. Zum ersten Mal seit vielen Jahren ließ ich ihn einfach klingeln, drehte mich um und schlief weiter. Ich wusste, dass meine Mutter rasend vor Wut sein würde, wenn sie nach Hause kam und feststellte, dass ich nicht wie gewohnt den Haushalt erledigte, doch es war mir egal. Alles war mir egal. Verdammt noch mal, mein Leben
Weitere Kostenlose Bücher