Der Tag an dem ich erwachte
war so trostlos! War es schon immer gewesen und würde es für immer bleiben. Hatte ich mir nicht wenigstens etwas Schlaf verdient? Als ich aufwachte, war es bereits später Nachmittag, und ich beeilte mich, mich für die Arbeit fertig zu machen und schnellstmöglich zu verschwinden, um nicht meiner Mutter zu begegnen. Wenn ich wieder nach Hause kam, würde sie längst eingeschlafen sein, die Standpauke konnte bis morgen warten. Sie hatte noch genug Zeit, ihre schlechte Laune und ihren Frust an mir auszulassen. Denn ich würde mir ganz bestimmt nicht so schnell einen Ehemann angeln, um ihrer klammernden Liebe, die sie stets in langen, wütenden Schimpftiraden zum Ausdruck brachte, zu entkommen. Nachdem ich diesen Mann kennen gelernt hatte, war es mir beinahe unmöglich, mich für einen anderen Mann zu begeistern. Nein, korrigierte ich mich, nicht nur beinahe. Es war schlicht und einfach unmöglich in unserem Kaff. Wahrscheinlich würde ich in meinem Kinderzimmer alt werden, und plötzlich wurde mir klar, dass meine Mutter sich genau das erhoffte. Das war auch der Grund, wieso sie mich immer wieder davor warnte, mich zu verlieben und mich auf einen Mann einzulassen. Nicht etwa, weil sie sich um mich sorgte, nein. Sie hatte Angst davor, allein zu sterben. Sie wollte mich für immer behalten. Ich gratuliere dir, Mutter, dachte ich verbittert, du hast es geschafft! Zum Glück wurde ich zur Filialleiterin befördert, zumindest muss ich nicht den Rest meines Lebens hinter der Theke stehen und besoffene Lüstlinge bedienen. Es war mein erster Tag als Filialleiterin, dämmerte es mir, und mein Chef wollte mich persönlich in meine neuen Aufgaben einweisen. Was für eine Ironie des Schicksals! Noch vor wenigen Stunden hatte ich mich so sehr darauf gefreut. Jetzt kam es mir wie in einem früheren Leben vor, einem Leben in der tiefsten Finsternis, bevor ich dem Licht begegnete. Bevor es sich mir für einen kurzen Augenblick zeigte, um mich voller Sehnsucht in der Finsternis zurückzulassen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal so bitterlich geweint hatte, wahrscheinlich noch nie. Als ich endlich zur Arbeit erschien, waren meine Augen verquollen und mein Gesicht gerötet, obwohl ich alles versucht hatte, um die Spuren meines emotionalen Tiefpunkts zu verwischen: Kaltes Wasser, Make-up. Trotzdem sah ich aus…
„Wie ausgekotzt!“, brachte es Ava fröhlich auf den Punkt. „Was ist denn mit dir los, Sweety?“, fragte sie, eigenartig gut gelaunt, ihre Augen strahlten um die Wette mit den frisch polierten Gläsern im künstlichen Licht.
„Was ist mit dir los, Sweety?“, äffte ich sie genervt nach, „hast du etwa endlich eine Rolle bekommen?“ Noch bevor ich diesen Satz zu Ende sprach, bereute ich ihn zutiefst. Verdammt, was fiel mir ein? Wie konnte ich meine beste Freundin so kränken? Doch sie schien alles andere als gekränkt. Sie strahlte mich glücklich an und erdrückte mich fast in ihrer Umarmung.
„Ja, die habe ich!“, jubelte sie und tänzelte durch den ganzen Raum.
„Ava, was sagst du da?“, stammelte ich und lächelte zögernd, „ist es dein Ernst?“
„Mein voller Ernst, Schatz!“, rief sie voller Aufregung, „ich hab’ s geschafft! Der Mann, den ich gestern Abend kennen gelernt habe, ist… Halt dich fest! Er ist tatsächlich ein Filmproduzent! Und zwar kein Geringerer als…“
Als sie mir den Namen genannt hatte, erblasste ich. „Das kann nicht sein, Avie“, sagte ich nüchtern, „komm wieder auf den Boden. Er hat dich verarscht. Alle beide haben uns verarscht, hast du es immer noch nicht kapiert?“
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, schmunzelte sie, ergriff meine Hand und führte mich in die Küche. „Das wurde vor einer Stunde für dich hier abgeliefert“, sagte sie, und ich sah in die Richtung, in die sie mit dem Finger zeigte. Auf der Küchentheke standen mehrere Blumenvasen mit unzähligen roten Rosen. „Der Chef ist ziemlich angepisst“, klärte sie mich belustigt auf. „Wir haben keine einzige Vase mehr frei!“ Plötzlich wurde mir schwindelig, und ich stützte mich an der Theke ab. „Ava, träume ich etwa?“, fragte ich leise.
„Ich glaube nicht“, erwiderte sie, „soll ich dich kneifen?“ Doch, bevor ich antworten konnte, kam unser Chef hinein und bedachte uns mit einem misstrauischen Blick.
„Ladys“, wandte er sich wütend an uns, „ich weiß nicht, was hier vorgeht. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es erfahren will. „Jedenfalls
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