Der Tag an dem ich erwachte
Alice mittlerweile abgelehnt sein durfte, würde er trotzdem Verdacht schöpfen, wenn Ryan für eine längere Zeit verschwinden würde. Also, packte ich für uns beide nur das Nötigste und machte mich daran, die Zutaten für unser Abendessen klein zu schnippeln. Zarte Fleischstückchen und Gemüse. Zwiebeln, Tomaten, Karotten, Kartoffeln, Auberginen und Zucchini. Alles in feine Würfel geschnitten. Kurz, bevor Ryan nach Hause kommt, würde ich das Ganze mit einer köstlichen Sauce und drei unterschiedlichen Käsesorten im Backofen überbacken. Den Salat würde ich erst später zubereiten, damit die frischen Blätter schön knackig blieben. Aber um den Apfelkuchenteig sollte ich mich sofort kümmern, damit er so fluffig wird, wie Ryan es sich gewünscht hatte. Während ich den Teig knetete, dachte ich an Greg und daran, wie er mich belogen und hintergangen hatte. Der Teig gelang mir einfach nur traumhaft. Ich zwang die dickflüssige Masse in einen Topf und stellte ihn auf die Heizung, die ich aufdrehte, damit der Hefeteig schön aufging. Derweil schnippelte ich die Äpfel klein und schlug die Sahne steif, mit der ich den Kuchen garnieren wollte, mitsamt der köstlichen Vanillesauce mit einer feinen Zimtnote. Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass es erst Mittag war. Verdammt! Wie sollte ich mir die Zeit bis zum Abend vertreiben, bis Ryan endlich wieder da war? Und dann hatte ich eine ganz wunderbare Idee, zu der ich mich sofort beglückwünschte.
„Na klar, du Dummerchen!“, sagte ich laut. „Der perfekte Salat! Du könntest hinausgehen und Kräuter dafür sammeln. Wieso ist es dir nicht schon früher eingefallen?“
„Weil ich nicht weiß, wo sich der Schlüssel zu der Tür befindet“, antwortete ich mir selbst und machte mich gleichzeitig auf die Suche nach dem Ersatzschlüssel. Er lag, wie nicht anders erwartet, unter dem kleinen Teppich vor der Außentür. „Genauso, wie Ryan es dir gesagt hat“, hörte ich meine eigene Stimme, die unangenehm misstrauisch klang. Wieso misstraute ich Ryan immer noch, nach allem, was er für mich getan hatte? Wieso konnte ich mich nicht einfach zurücklehnen und entspannen, wieso fiel mir das Vertrauen so schwer? Ich steckte den Schlüssel in die Tasche meiner Jeanshose, warf mir Ryans Jacke über und schloss die Tür hinter mir zu. Vergewisserte mich, dass der Schlüssel tatsächlich in meiner Tasche steckte und atmete erleichtert auf. „Nicht mal dir selbst kannst du trauen!“, lachte ich bitter auf. Es war kühl draußen, fast schon kalt, doch es war eine angenehme Kälte, die trotz des starken Windes immer noch herbstlich mild war. Ich schloss die Augen und ließ mein Gesicht von dem Wind liebkosen, atmete die frische Luft tief ein und genoss es in vollen Zügen, wie sie langsam meine Lungen füllte. Wie die Liebe zu Ryan mein Herz füllte. „Sei dankbar!“, sagte ich zu mir, „vertraue! Liebe!“
Ich bin eine Kräuterhexe, rief ich mir in Erinnerung. Ich hatte sogar mehrere Bücher über die Wildkräuter gelesen. Wenn ich Glück habe, dann finde ich vielleicht sogar ein paar Pilze, dachte ich und traute mich immer weiter in den Wald hinein. Dabei drehte ich mich immer wieder um, um mir den Weg zu merken und setzte Merkmale, an die ich mich auf jeden Fall erinnern würde: Einen besonders hohen, schönen Baum, dessen Form entfernt an den Körper einer Frau erinnerte, einen Wacholderbusch, einen großen Stein. Als ich mit meiner Ausbeute mehr als zufrieden war, fing es langsam an, dunkel zu werden, und ich lief gemächlich zu dem Haus zurück. Zu dem schönen Hexenhäuschen, unserem gemütlichen Liebesnest. „So einen Salat hast du noch nie zuvor gegessen, Ryan!“, sagte ich voller Vorfreude. Ich hatte tatsächlich viele Kräuter, essbare Blüten und sogar mehrere Pilze gefunden. Die letzteren würde ich knackig in Butter anbraten und den Salat damit garnieren.
An dem schönen Baum blieb ich stehen und betrachtete ihn eine Weile bewundernd. Wie eine Riesin, die ihre Arme zum Himmel emporstreckt, dachte ich, umarmte den breiten Stamm und atmete den Duft nach Rinde und Laub ein. Plötzlich fie l mir etwas auf dem Boden auf, das sich bei näherer Betrachtung als eine Sammlung Steine erwies. Ich bückte mich und sah, dass es sich um ziemlich große, schwere Steine handelte, die in Form eines Kreuzes angeordnet waren. Die Steine waren tief in die Erde eingedrückt. Meine Neugierde war geweckt. „Neugier tötet die Katze“, warnte ich mich laut vor, doch es war
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