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Der Tag, an dem John Dillinger starb

Der Tag, an dem John Dillinger starb

Titel: Der Tag, an dem John Dillinger starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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gerutscht, und er lag einige Minuten lang nackt da, während er beobachtete, wie die Schatten an der Decke länger wurden, bevor er sich aufsetzte und die Füße auf den kühlen Steinboden stellte. Die Balkontür stand offen, und der Vorhang bewegte sich in der leichten Brise.
     Der Hof hinter dem Hotel schien menschenleer zu sein, als Dillinger hinuntersah, und er füllte die emaillierte Waschschüs­ sel rasch mit lauwarmem Wasser aus dem Steingutkrug, ging damit auf den Balkon hinaus und schüttete sich das Wasser über den Kopf.
     Nach dieser Dusche frottierte er sich kräftig ab, zog sich an, betrachtete sein Gesicht in dem halbblinden Spiegel und fuhr mit einer Hand über seine Bartstoppeln. Er holte einen Toilet­ tenbeutel aus seinem Koffer, nahm Rasiermesser und -pinsel heraus, seifte sich ein und begann mit der Rasur.
     Da wurde an die Tür geklopft. Als Dillinger sich umdrehte und sich mit einem Handtuch die Seifenreste aus dem Gesicht wischte, kam Rivera herein. Er hielt Dillingers Schulterhalfter mit dem Colt in der Hand und ließ beides aufs Bett fallen.
    »Die Welt steckt voller Überraschungen!« meinte der Ameri­
    kaner ironisch.
     »Wie Sie wissen, enthält das Magazin acht Schuß, amigo. Glauben Sie, daß acht Schuß genügen, falls wir Schwierigkei­ ten mit Ortiz bekommen?«
     Dillinger ließ die Pistole am Abzugbügel um seinen Zeigefin­ ger kreisen. »Ein Schuß kann genügen. Acht Schuß können zuwenig sein. Das hängt alles von den Umständen ab.«
     »Mache ich einen Fehler, wenn ich Ihnen traue?«
     »Sie machen einen Fehler, wenn Sie irgend jemand trauen.«
     Rivera lachte. »Hier haben Sie etwas Geld für den Fall, daß Sie sich unten im Saloon vergnügen wollen. Das ist kein Geschenk, sondern ein Vorschuß, der später abgezogen wird. Verspielen Sie die Pesos nicht am Pokertisch.«
     »Ich verliere weder beim Pokern noch sonstwo«, behauptete Dillinger. »Wie steht’s mit Benzin für mein Auto?«
     »Ich traue Ihnen mit einer Waffe, weil ich zwei habe – und weil ich Rojas habe. Aber ich traue Ihnen noch nicht mit Benzin, das Sie auf die Idee bringen könnte, Hermosa zu verlassen. Vielleicht lernen Sie statt dessen, ein Pferd zu reiten, americano «, sagte Rivera und lachte erneut, als er die Tür hinter sich schloß.

    Irgendwo draußen spielte jemand Gitarre, und eine Frau begann halblaut zu singen. Dillinger schlüpfte ins Schulterhalf­ ter, zog seine Jacke darüber, bürstete sich die Haare und trat auf den durchgehenden Balkon hinaus.
     Rose de Rivera lehnte am Ende des Balkons am Geländer und blickte in die untergehende Sonne, während sie spielte. Dillin­ ger hatte in Chicago einmal eine spanische Nachtklubsängerin gehört, aber Rose übertraf sie bei weitem.
     Als sie seine Schritte hörte, brach sie mitten im Lied ab und drehte sich rasch nach ihm um. Sie trug eine schwarze Mantille zu einem schwarzen Seidenkleid mit quadratischem Aus­ schnitt. Die kurzen Ärmel und das Dekolleté waren mit blau­ weißer Indianerstickerei gesäumt.
     Sie lächelte. »Na, fühlen Sie sich nach Ihrer Dusche besser?«
     »Sie haben mich gesehen?«
     »Ich hab mich natürlich abgewandt.«
     »Ihr Kleid ist sehr hübsch. Allerdings nicht ganz, was ich erwartet hatte.«
     »Haben Sie gedacht, ich würde einen Cheong Sam tragen? Irgend etwas exotisch Chinesisches? Das ziehe ich auch an, wenn mir danach ist, aber heute abend fühle ich mich mehr als Spanierin.«
     »Sind Sie stolzer auf Ihre chinesische oder Ihre spanische Hälfte?«
     »Wenn ich mich als Chinesin fühle, bin ich stolz darauf, einer alten, hochstehenden Zivilisation anzugehören, der allerdings ein Makel anhaftet.«
     »Welcher?«
     »Die Chinesen haben das Schießpulver erfunden«, antwortete Rose und trat auf ihn zu. Er wußte nicht, was daraus werden würde, aber sie berührte lediglich die Stelle, wo sich sein Schulterhalfter unter der Jacke abzeichnete. »Wer sind Sie?« fragte sie dabei.
     »Und was ist mit Ihrer spanischen Hälfte?« erkundigte Dil­ linger sich, ohne auf ihre Frage einzugehen.
     »Mein Vater hat mir oft erzählt, daß ein Rivera Offizier auf einem Schiff der spanischen Armada gewesen ist.«
     »Ist sie nicht den Engländern unterlegen?«
     »Geht es immer nur darum, zu siegen?«
     »Die Amerikaner haben die Engländer geschlagen.«
     »Alle Amerikaner sind abscheulich, eitel, stolz, unmöglich. Wovon leben Sie, wenn Sie nicht Sklaventreiber meines Onkels sind? Ihnen ist doch

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