Der Tag, an dem John Dillinger starb
näherte, kam Rose, die das Auto gehört hatte, ins Freie. Sie sah müde und blaß aus, und auf ihrer Stirn standen Schweißperlen. Dillinger kehrte um, holte seine Feldflasche aus dem Chevrolet und bot sie Rose an. »Du siehst angegriffen aus.«
»Das kommt von der schlechten Luft, sonst fehlt mir nichts.« Sie goß sich etwas Wasser in die linke Hand und benetzte damit ihr Gesicht.
»Wer ist noch drinnen?«
»Pater Tomas. Ich möchte, daß du ihn kennenlernst.«
Dillinger folgte ihr durch die niedrige Tür. Der einzige Raum entsprach genau dem des anderen kleinen Hauses und war mit dem stechenden Rauch eines Dungfeuers erfüllt. In einer Ecke lag ein Mann auf einer schmutzigen Decke; zu seinen Füßen kauerte eine Apachenfrau.
Auf einem kleinen Hocker neben ihm saß ein weißhaariger alter Geistlicher und fuhr behutsam mit einem nassen Schwamm über die feuchte Stirn. Die Haut des Mannes wirkte beinahe durchsichtig, alle Knochen traten deutlich hervor. Der Indianer war offensichtlich schwer krank.
Der Geistliche faltete die Hände und begann zu beten. Ein durchs Rauchloch in der Decke dringender Lichtstrahl fiel auf sein zum Himmel erhobenes Gesicht und ließ das weiße Greisenhaar leuchten.
Dillinger ging wieder hinaus, und Rose folgte ihm. Er zog die flache Tequilaflasche, die Chavasse ihm für Notfälle mitgege ben hatte, aus der Tasche, schraubte den Verschluß auf und nahm einen kräftigen Schluck.
Erst dann wandte er sich an Rose. »Kann diesen Menschen denn nicht geholfen werden?«
»Mein Vater hatte einen Plan, einen wundervollen Plan. Er wollte am oberen Ende des Tals, oberhalb der Hazienda, wo die vom Schnee gespeisten Bäche von der Sierra herabfließen, einen Staudamm bauen. Mit dem aufgestauten Wasser könnte man das ganze Tal bewässern und fruchtbar machen.«
»Und dein Onkel hält nichts davon?«
»Leider nicht, Señor«, warf Pater Tomas ein, der hinter ihnen aus dem Haus trat. »Don José ist nur daran interessiert, soviel Gold zu gewinnen, wie diese armen Menschen unter Einsatz ihres Lebens abbauen können. Sobald aus der Mine nichts mehr rauszuholen ist, wird er sich in ein für ihn günstigeres Klima absetzen.«
»Das hier ist Señor Jordan, Pater«, sagte Rose. »Der Mann, den mein Onkel gegen seinen Willen hergebracht hat.«
Der alte Geistliche schüttelte Dillinger die Hand. »Ich habe gehört, was sich gestern abend in Hermosa ereignet hat, mein Sohn. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sehr fein. Wer weiß, vielleicht hat Don José einen Fehler gemacht, als er Sie mit einem Trick hierhergelockt hat?«
Bevor Dillinger antworten konnte, galoppierten zwei Reiter den Hügel herab und erreichten die Dorfstraße. Rojas, der eine Pferdelänge Vorsprung hatte, riß sein Pferd erst im letzten Augenblick herum, so daß es sich auf die Hinterbeine stellte, Dillinger, Rose und den Geistlichen umtänzelte und sie in eine Staubwolke hüllte.
Sein Begleiter war ein Mestize, der einen abgegriffenen roten Strohhut trug. Ein Halbindianer, der sich ganz auf die Seite der Weißen geschlagen hatte. Er hatte grobe, brutale Gesichtszüge, und an seinem rechten Handgelenk hing eine geflochtene Lederpeitsche.
Rojas starrte Dillinger vom Sattel herunter an. Zwei seiner Zähne fehlten, und die Lippen waren aufs Doppelte ihrer normalen Größe angeschwollen. Sein linkes Auge war blutun terlaufen und beinahe zugeschwollen.
»Was willst du?« fragte Pater Tomas.
»Ich will Maco holen. Das Schwein ist schon wieder nicht zur Arbeit gekommen.«
»Er ist zu krank, um zu arbeiten«, stellte der alte Geistliche fest.
»Die Faulenzer sind immerzu krank!« Rojas schwang sich aus dem Sattel. »Sie wissen, daß wir jeden Mann im Schacht brauchen, und melden sich bei jeder Gelegenheit krank.«
Als er an Dillinger vorbeigehen wollte, vertrat der Amerika
ner ihm den Weg. »Du hast gehört, was Pater Tomas gesagt hat.«
Rojas trat einen Schritt zurück. Seine rechte Hand lag auf dem Griff seines Revolvers.
»Das würd ich an deiner Stelle lieber nicht tun«, warnte Dil linger ihn ruhig.
In der nun folgenden Stille konnten sie das Rattern der Dampfmaschine hören, die das Förderband in der Goldmine antrieb, und die dünnen, hohen Stimmen der Indianer, die sich etwas zuriefen. Der Mestize mit der Peitsche rutschte unruhig im Sattel hin und her und wich Dillingers Blick aus. Rojas wandte sich wortlos ab, kletterte wieder in den Sattel und trieb
sein
Weitere Kostenlose Bücher