Der Tag, an dem John Dillinger starb
Schluck und reichte sie an Fallon weiter. Rojas hockte auf einem Felsblock und hielt benommen das Gesicht in den Händen verborgen. Dillinger stieß ihn an, hielt ihm die Flasche hin und forderte ihn grob auf: »Hier, trink ‘nen Schluck und reiß dich zusammen!«
Rojas trank einen großen Schluck und mußte husten, als der hochprozentige Schnaps ihm in die falsche Kehle geriet. Dann stand er auf und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Wie viele sind noch drin?« erkundigte Dillinger sich.
»Weiß ich nicht genau. Ungefähr zwanzig.«
Fallon kletterte auf den Felsblock und wandte sich auf spa
nisch an die zusammengeströmten Arbeiter. »Die Männer dort drinnen haben nicht mehr lange zu leben. Wenn wir ihnen helfen wollen, müssen wir uns beeilen. Holt Pickel, Schaufeln, Körbe – alles, was euch in die Hände kommt!«
Dillinger und Fallon setzten sich an die Spitze des Zuges, der zum Stollenloch zurückkehrte, und begannen die Felsbrocken wegzuräumen, die den Eingang blockierten. Alle halfen mit – sogar der alte Geistliche –, indem sie, immer weiter in den Stollen vordringend, eine Menschenkette bildeten, um das Gestein nach draußen zu befördern.
Die Bresche, durch die die Geretteten ins Freie gelangt waren, wurde vergrößert, bis ein Dutzend Männer mit Pickeln und Schaufeln hindurchklettern konnte. Laternen wurden nach vorn gebracht. Dillinger streifte sein Hemd ab und untersuchte den Felswall, der vor ihnen den Stollen versperrte.
Es war heiß. Die Luft war voller Staub, der sich nur langsam setzte. Fallon tauchte neben Dillinger auf. »Wir müssen wei tergraben. Zum Glück haben wir wenigstens genug Werk zeug.«
Rojas kam im Halbdunkel nach vorn. Er streckte eine Hand aus und berührte die Decke des Stollens. Unter seinen Fingern lösten sich sofort einige Steine.
»Viel mehr braucht’s nicht, um auch den Rest zum Einsturz zu bringen …«
»Wir haben nichts zu befürchten, solange wir verdammt vorsichtig sind«, versicherte Fallon ihm. Der Alte bemühte sich, zuversichtlich zu sprechen.
Sie arbeiteten fieberhaft in dem fast unheimlichen, immer wieder von Staubschwaden durchzogenen Licht: nackt bis zur Taille, ihre Oberkörper in Schweiß gebadet. Rojas erwies sich als wahrer Herkules und stemmte allein Felsbrocken, die Dillinger und Fallon kaum zu zweit hätten bewegen können. Hinter ihnen bildeten die Indianer eine Kette und reichten Körbe mit Gesteinsschutt durch den Stollen ins Freie hinaus.
Die Männer arbeiteten in Schichten und stützten das Stollen
dach mit frischem Grubenholz ab, während sie vorrückten, aber sie kamen nur langsam voran. Die schlechte Luft und die fast unerträgliche Hitze bewirkten, daß niemand es länger als eine halbe Stunde vor Ort aushielt. Nachmittags waren sie noch keine fünfzehn Meter weit in den Stollen vorgedrungen.
Kurz nach drei Uhr stöhnte Rojas, der ganz vorn arbeitete, plötzlich laut.
»Was gibt’s?« fragte Dillinger.
Rojas drehte sich um. Das Weiße seiner Augen leuchtete im Laternenlicht, als er den Amerikaner heranwinkte. Dillinger kroch in die schmale Bresche, die sie durch das herabgestürzte Gestein geschlagen hatten. Ein riesiger Felsblock, der minde stens fünf bis sechs Tonnen wog, versperrte ihnen den Weg.
Fallon, der hinter ihm kauerte, stieß einen leisen Pfiff aus. »Verdammt noch mal, den kriegen wir nie mit Schaufel und Pickel weg!«
»Und mit Dynamit?« fragte Dillinger.
Rojas holte erschrocken tief Luft. »Bist du verrückt? Mit ‘ner halben Stange kannst du den ganzen Rest zum Einsturz brin gen!«
»Wer dahinter noch lebt, ist sowieso zum Tode verurteilt«, stellte Dillinger fest. »So geben wir ihnen wenigstens noch eine Chance.«
Er kroch zurück, zwängte sich an den Indianern vorbei und trat ins Freie, wo ihn das Sonnenlicht blendete. Das ganze Dorf schien dort versammelt zu sein. Frauen und Kinder warteten teils auf der Erde hockend, teils schweigend im Halbkreis vor dem Stollenloch stehend.
Wer glaubt, daß ein Bankraub gefährlich ist, sollte es mal hiermit versuchen! dachte Dillinger.
Ein Indianer bot ihm einen Eimer Wasser an. Er hob ihn an den Mund und trank lange daraus, bevor er sich das restliche Wasser über Kopf und Schultern goß. Dann sah er Rivera vor sich stehen.
»Wie schlimm sieht’s aus?« fragte Rivera.
»Wir sind so weit vorgedrungen, wie wir mit Pickel und Schaufel konnten. Jetzt blockiert ein Fünftonnenblock
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