Der Tag, an dem John Dillinger starb
voraus.
Dillinger nahm allmählich leise Geräusche wahr; zugleich tauchte vor ihnen ein Lichtschein auf. Der Stollen wurde enger und niedriger, so daß sie in gebückter Haltung weitergehen mußten, und verbreiterte sich dann zu einer von mehreren Kerzen nur ungenügend erhellten niedrigen Höhle.
Zehn bis zwölf Indianer kauerten vor dem Fels und bauten das erzhaltige Gestein mit kurzen Hauen ab. Andere schaufel ten es in Körbe, um es zu den Förderwagen hinauszuschleppen. Die Luft war stickig, voller Staub und fast nicht atembar.
John Dillinger machte kehrt und tappte in den Stollen zurück. Dort blieb er stehen und hustete krampfhaft, als könne er dadurch den Staub aus seinen Lungen entfernen. Aus der Dunkelheit über ihm polterten plötzlich einige Steine herab, die ihn nur knapp verfehlten.
»Verstehst du jetzt, was ich meine?« fragte Fallon.
Dillinger gab keine Antwort. Er setzte sich wieder in Bewe
gung und folgte dem Stollen in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Plötzlich hallte ein Schmerzensschrei durch die Dunkelheit.
Er riß Fallon die Laterne aus der Hand und begann zu rennen. Vor ihm im Hauptstollen war es heller. Dort sah er mehrere Indianer, die sich ängstlich gegen die Stollenwand drängten; vor ihnen lag ein umgestürzter Förderwagen, dessen Erzladung das Gleis blockierte.
Rojas drückte einen weißhaarigen alten Indianer mit der linken Hand vor sich auf die Knie. In der erhobenen rechten Hand hielt er eine Peitsche. Sie pfiff durch die Luft und hinter ließ blutige Striemen auf den schmalen Schultern des ausge mergelten Alten. Der Weißhaarige schrie laut auf.
Bevor Rojas erneut zuschlagen konnte, war Dillinger heran, riß ihn zurück und stieß ihn gegen die Stollenwand, daß es krachte. Der Mexikaner knurrte wütend, richtete sich auf und zog seinen Revolver.
Dillinger setzte energisch nach, rammte ihm einen Arm gegen die Kehle, bekam die Hand mit der Waffe zu fassen und drückte die Mündung nach unten. Nachdem sie endlose Sekun den lang miteinander gerungen hatten, ging plötzlich der Revolver los.
Der Schuß dröhnte in dem engen Stollen wie die Explosion einer ganzen Dynamitladung, und der Boden unter ihren Füßen schien zu zittern. Der entsetzte Aufschrei der Indianer ging im Getöse unter, als der Berg auf sie herabstürzte.
9
»Jetzt ist’s soweit!« dachte John Dillinger, als alles um ihn herum einzubrechen schien. Das hatte er schon einmal gedacht: in einer kleinen Bank, als er mit einem Beutel voll Geldscheine auf die Straße gestürzt war und sich einem Uniformierten gegenübergesehen hatte, der eigentlich für einen Polizeibeam ten schon viel zu alt war – und der aus nächster Entfernung, aus der kein Mensch danebenschießen konnte, mit seinem 38er auf ihn gezielt hatte. »Jetzt ist’s soweit!« hatte Dillinger ge dacht, aber die Dienstwaffe des anderen hatte nur geklickt – Ladehemmung! –, und er hatte sie dem Polizeibeamten aus der Hand getreten und war aufs Trittbrett des bereitstehenden Fluchtwagens gesprungen, der in einer Staubwolke mit ihm davongerast war. Damals hatte er sich vorgenommen, nie mehr eine Bank zu überfallen, ohne eine kugelsichere Weste zu tragen.
Aber eine kugelsichere Weste, selbst wenn er eine getragen hätte, wäre kein Schutz gegen ein Grubenunglück, gegen einen Bergsturz gewesen. Dillinger stolperte vorwärts, tastete sich blind durch Staubwolken weiter. Er stolperte, ging zu Boden und fand sich auf Händen und Knien wieder. Eine Weile verharrte er so, hustend und würgend, dann kroch er weiter, eine schräge Schuttrampe hinauf bis zu einer Stelle, wo ein Lichtschein zwischen Steinen hervorblinkte.
Während Dillinger versuchte, die Steine beiseite zu räumen, tauchten Fallon und Rojas links und rechts neben ihm auf. Der Mexikaner atmete keuchend – vor Anstrengung? Vor Angst? Einige Minuten später war die Bresche groß genug, daß sie sich hindurchzwängen konnten. Sie traten ins Tageslicht, gefolgt von vier Indianern.
Die Indianer aus dem Erzschuppen kamen bereits zum Stol lenloch gelaufen, und Pater Tomas trieb sein Maultier an, daß es das klapprige Wägelchen fast im Trab zog. Er brachte es einige Meter von der kleinen Gruppe entfernt zum Stehen und sprang vom Kutschbock.
»Wie schlimm ist’s?«
Fallons Gesicht bedeckte eine Maske aus Staub. »Der ganze verdammte Berg ist eingefallen, glaub ich.«
Dillinger zog die Tequilaflasche aus der Tasche, trank einen
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