Der Tag, an dem John Dillinger starb
schmieden, war er sich darüber im klaren, daß Rojas, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, ihn viel lieber aus ir gendeinem fadenscheinigen Grund abknallen würde, anstatt ihn der Polizei zu übergeben, wie Rivera ihm befohlen hatte.
Hinter ihnen donnerten Hufschläge heran. Ortiz und seine beiden Krieger holten den Chevrolet mühelos ein. Ortiz hatte sein Gewehr im Sattelhalfter stecken, aber er wußte, daß es zwecklos gewesen wäre, nach der Waffe zu greifen. Der verhaßte Rojas würde den Amerikaner erschießen, bevor die Gewehrkugel ihn treffen konnte.
»Amerikaner!« rief Ortiz. »Rivera hätte dir erlauben sollen, Dynamit zu verwenden. Die Eingeschlossenen sind meine Leute.« Der Apache gab seinem Pferd die Sporen und galop pierte mit den beiden Kriegern in Richtung Dorf davon.
»Hinterher!« befahl Rojas.
»Ausgeschlossen!« wehrte Dillinger ab. »Das Kühlwasser kocht schon. Siehst du nicht, wie der Kühler dampft? Wir müssen Wasser nachfüllen.«
»Hast du Wasser im Kofferraum?«
»Nein, nur Benzin.«
»Verdammt noch mal, wir –«
»Nur keine Aufregung!« wehrte Dillinger ab. Er erinnerte sich an einen Trick, den er als Sechzehnjähriger in Indiana gelernt und angewandt hatte, wenn der Kühler eines alten Wagens weit von der nächsten Tankstelle entfernt zu kochen begonnen hatte. Er schraubte den Kühlerverschluß auf, stellte sich auf die Motorhaube, ließ die Hose herunter und urinierte vor Rojas genau in den Einfüllstutzen des dampfenden Küh lers.
Als Dillinger und Rojas in Hermosa einfuhren, sahen sie, daß Ortiz auf dem Hauptplatz eine riesige, wogende Menschen
menge um sich versammelt hatte.
»Er hetzt sie auf!« stellte Rojas fest. »Warum fährst du nicht weiter?«
»Ich komm nicht mehr durch.«
»Weiter!« knurrte Rojas.
»Nein, sonst kommt jemand unters Auto«, widersprach Dil
linger, der nur noch im ersten Gang dahinkroch.
»Schneller!« verlangte Rojas. »Fahr das Gesindel nieder!«
Als Dillinger bremste, drehten die Zusammengeströmten sich wie auf ein Zeichen hin um, und alle – Frauen, Kinder und einige Männer – kamen auf den Wagen zu. Dies waren keine mutlosen, niedergezwungenen Menschen; dies war ein erregter Mob, der ein Opfer suchte.
Dillinger hörte Ortiz brüllen: »Dort im Auto sitzt Rojas, der Henker des Mörders Rivera, der nicht zuläßt, daß unsere Brüder durch Dynamit befreit werden!«
Rojas erkannte blitzartig, was ihm von der aufgewiegelten Menge drohte.
»Zurück!« befahl er dem Amerikaner. »Los, weg von hier!«
»Fahr doch selbst«, forderte Dillinger ihn auf, zog die Hand
bremse an und sprang aus dem Wagen.
»Ich kann nicht fahren, Idiot!« kreischte Rojas. »Komm so fort her!«
»Erst wenn du deinen Revolver auf den Fahrersitz legst – aber langsam und vorsichtig.«
Rojas war blaß vor Zorn, aber als er den herandrängenden Mob betrachtete, wurde ihm klar, daß er keine Chance hatte: Selbst wenn er einige der Angreifer erschoß, würden die anderen wie Ameisen über ihn herfallen, bevor er nachladen konnte, ihn würgen, auf ihm herumtrampeln und ihn schließ lich aufknüpfen. Er legte seinen Revolver langsam auf den Fahrersitz. Dillinger griff danach, schwang sich wieder hinters Lenkrad, legte den Rückwärtsgang ein und entfernte sich von dem ohnmächtig aufheulenden Mob. Dann wendete er und raste aus der Stadt: Er hielt das Lenkrad mit der linken Hand fest, richtete den Revolver auf den Mexikaner und sang dabei, so laut er konnte, einen bei seiner Flucht aus den Vereinigten Staaten sehr beliebten Schlager: »Who’s Afraid of the Big Bad Wolf?«
Ortiz ritt fast eine halbe Stunde lang in schneller Gangart, bis er ein Lager aus fünf Wickiups erreichte, das an einer Wasser stelle zwischen Felsen stand, die einen Halbkreis bildeten und so Schutz vor dem Wind boten.
An einem improvisierten Bratspieß über dem Feuer steckte eine Hirschkeule. Drei junge Indianer hockten zigarettenrau chend davor.
Er stieg ab, band sein Pferd an und warf den jungen Männern einen ausdruckslosen Blick zu, bevor er in sein Zelt schlüpfte, sich auf den Fellen ausstreckte und langsam die Augen schloß.
In der Dunkelheit empfand er nur tiefe Befriedigung und einen Haß, der wie eine weißglühende Flamme brannte – so rein, daß er Ekstase war, mystische Realität, die alles übertraf, was die Patres in Nacozari gepredigt hatten.
Ortiz wußte nun, was er zu tun hatte. Er verließ
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