Der Tag, an dem John Dillinger starb
den Frieden des Wickiups und rief seine Krieger zusammen.
»Ich habe den Rock eines Geistlichen getragen, weil ich gehofft habe, eines Tages selbst ein Mann Gottes zu werden«, erklärte er ihnen. »Heute habe ich gesehen, wie Pater Tomas, ein Mann Gottes, von diesem Schlächter Rivera mit einem Kopfschuß getötet worden ist. Ich bin vor allem ein Apache!« fuhr er fort, riß sich mit einem einzigen Ruck seiner kräftigen Hände die Soutane vom Leib und schleuderte sie ins Feuer. Darunter trug er einen Lendenschurz, und er band sich jetzt das Stirnband eines Apachenkriegers um.
»Ich sage euch, was ihr zu tun habt«, fügte Ortiz hinzu. »Cha to und Cochin, ihr ruft diejenigen unserer Brüder zusammen, die bereit sind, gemeinsam mit uns zu kämpfen. Reitet zur Nordweide, reißt den Zaun ein und schlachtet einige Stück Vieh. Aber laßt den Hirten ungeschoren. Er muß am Leben bleiben, damit er Rivera die Nachricht von unserem Überfall überbringen kann.«
Er wandte sich an den dritten Mann. »Kata, du holst unsere versteckten Gewehre und bringst sie hierher.«
Die jungen Männer beeilten sich, seinen Anweisungen nach zukommen, so daß Ortiz wenige Minuten später allein im Lager stand und die Hufschläge ihrer Pferde in der Abend dämmerung verhallen hörte.
Er blieb eine Zeitlang nachdenklich stehen, bevor er eine Handvoll Staub aufhob und ins Feuer warf. In seinen Adern fühlte er das Feuer der Rache brennen.
10
Unterwegs hielt Dillinger Rojas einen Vortrag. »Ich hab schon als kleiner Junge gelernt«, sagte er, »daß manche Leute große Fäuste und ein kleines Hirn haben. Andere Kerle haben mas senhaft Hirn, aber ihre Fäuste taugen nichts. Und wieder andere haben Hirn und Fäuste und wissen, wie man beides gebraucht. Ich hab versucht, dich einzuordnen, Rojas, und schätze, daß du zur ersten Kategorie gehörst: große Fäuste, kleines Hirn.«
»Gringo, ich übergeb dich früher oder später doch noch den federalistas, wie Señor Rivera angeordnet hat!«
Dillinger trat so scharf auf die Bremse, daß Rojas nach vorn gegen die Windschutzscheibe flog und sich Nase und Stirn aufschlug. »Entschuldigung«, sagte Dillinger, »ich hab nur geglaubt, ‘ne Schlange auf der Straße zu sehen.«
»Du fährst wie ein Verrückter!«
»Dann steigst du am besten aus«, entschied Dillinger. Er
bedrohte den Mexikaner mit dessen Revolver. »Los, raus mit dir!«
»Du kannst mich nicht einfach hier draußen absetzen. Bring mich zur Hazienda zurück.«
»Was hältst du davon, wenn ich dich in die Stadt zurückbrin ge?«
»Nein!«
»Aber ich fahre dorthin, Rojas. Raus!«
»Und was ist, wenn keiner vorbeikommt?« fragte Rojas beim Aussteigen.
»Irgend jemand kommt bestimmt vorbei. Wenn nicht Men schen, dann Artgenossen: Geier, Kojoten, irgend jemand«, antwortete Dillinger lachend, während er das Kabriolett wende te und Rojas in eine Staubwolke gehüllt stehenließ.
Einige Meilen vor Hermosa sah Dillinger zwischen den Felsen abseits der Straße wildwachsende Wüstenblumen. Er hielt mit dem Chevvy, pflückte ein Dutzend und legte sie vorsichtig auf den Rücksitz.
Die Stadt wirkte verlassen.
In der Hotelbar begrüßte Chavasse ihn mit einer lässigen Handbewegung.
»Ist Rose oben?«
Chavasse nickte. Dillinger nahm keine eifersüchtige Reaktion bei ihm wahr. Hätte er nicht anders reagieren müssen, wenn er tatsächlich …
Oben klopfte er an ihre Tür, hielt aber den Blumenstrauß noch hinter dem Rücken versteckt.
»Wer ist da?« fragte Rose. Erstaunlich, wie sein Herz allein beim Ton dieser Stimme rascher schlug.
»Dein Lieblingsgangster«, antwortete er und fuhr sich mit der freien Hand über seinen Schnurrbart.
Als Rose die Tür öffnete, trug sie einen dunkelgrünen Kimo no, dessen Ärmel mit goldenen und silbernen Bändern abge setzt waren. Sie hielt ihn vorn mit einer Hand zu, aber der obere Ansatz einer Brust war trotzdem zu sehen. Das genügte. Dillinger erinnerte sich an das Mädchen vor Billie Frechette, das ihm manchmal barbusig die Tür geöffnet hatte. Diese Frau war anders. In ihrer Gegenwart empfand er etwas anderes.
»Ich dachte, du solltest der Polizei übergeben werden?« fragte Rose verwundert und erleichtert zugleich.
»Ich habe beschlossen, mich dir zu stellen. Darf ich rein kommen?« Er holte die Blumen hinter dem Rücken hervor und überraschte sie damit.
»Oh, die sind aber schön!« rief Rose aus und drehte
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