Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
hat er mir dagelassen. Das war eh schon kurz vorm Verrecken.“
Danach herrschte wieder Schweigen in der Runde.
„Er ist mit seiner 25-jährigen Physiotherapeutin durchgebrannt“, sagte Olli und legte Chrissi in einer warmen und herzlichen Geste die Hand auf den Unterarm.
René sah die beiden an. Die Situation fing jetzt ernsthaft an, ihn zu schlauchen. Warum war er bloß mit hergekommen? Er wünschte, er hätte den Deal in der Frittenbude nie gemacht.
„Lasst mich raten“, sagte er. „Die Beziehung hat nicht gehalten.“
„Jap“, sagte Chrissi mit einem schwachen Lächeln.
„Und? Seid ihr heute wieder zusammen?“
„Nein, nach der Trennung von seiner Neuen ist er wieder bei Muttern eingezogen. Die füttert ihn jetzt durch. Mit mir hat sie seitdem kein einziges Wort mehr gesprochen, und mit ihren Enkelkindern auch nicht. Sie gibt mir die Schuld an der ganzen Misere.“
„ Dir? Warum denn?“, fragte Claudi.
„Weil ich ihn nicht zurückhaben wollte.“
„Mann, wie hältst du das bloß aus?“
„Es nützt ja nichts“, sagte Chrissi, und ihre Schultern entspannten sich wieder. „Ich hab wirklich einiges mit meinem Mann durchgemacht, auch in finanzieller Hinsicht. Aber inzwischen sag ich mir: Soll er mit meinem Leberlappen glücklich werden, wenn er meint, dass er’s anders nicht schafft.“
„Was ist mit dir, René?“, fragte Olli und ließ ihren Arm wieder los. „Claudia hat gesagt, dass sie dir gerne eine Leberhälfte spenden möchte und dass du Bedenken dagegen hast.“
„Keine Bedenken“, sagte René. „Ich lehne es rundheraus ab.“
„Warum?“
„Weil es Naturgesetze gibt, die man nicht missachten darf. Niemand kann das Schicksal eines anderen tragen. Tut er es trotzdem, steuert er unter Umständen auf einen Abgrund zu.“
„Aber ich bin deine Frau, und zufällig liebe ich dich nun mal, und zufällig möchte ich, dass es dir so gut wie möglich geht.“
„So viel Edelmut, und das womöglich für den Eimer.“
„Warum denkst du immer, dass es schief gehen wird?“
„Warum denkst du automatisch, dass es gut gehen wird?“
„Weil man sein Glück auch mal in die Hand nehmen muss. Man kann nicht immer nur darauf warten, dass es von selbst an die Tür klopft.“
„Und wenn es das nicht tut?“
„Nun mach doch nicht so ein Geschrei um die Sache, René. Ich will dir nur ein Stück meiner Leber abgeben, nicht mehr und nicht weniger. Aber was rede ich!? Schenken will ich es dir, und eine barmherzige Samariterin bin ich bestimmt nicht. Weil ich mir selbst etwas Gutes damit tue.“
„Mal sehen, was du hinterher sagst, wenn das Ding in der Tonne landet.“
„Es kann auch wunderbar anwachsen.“
„Es kann , richtig.“
„Na gut, es könnte . Natürlich besteht da ein Restrisiko, aber das nehm ich in Kauf.“
„Ich will nicht, dass du ein Restrisiko auf dich nimmst, und damit Schluss.“
„Da habt ihr’s“, sagte Claudi zu den anderen. „So laufen alle unsere Diskussionen ab. Wir drehen uns im Kreis, und das schon seit Jahren.“
Als sie später das Lokal verließen und sich zu Fuß auf den Heimweg machten, herrschte dicke Luft zwischen ihnen.
„Das war das letzte Mal, dass ich mit zu deinem Debattierklub gekommen bin“, sagte René schließlich. „Da wird nur Scheiße gelabert. Das muss ich mir nun wirklich nicht antun.“
„Wenn hier einer Scheiße labert, dann ja wohl du“, sagte Claudi nur.
Danach schwiegen sie sich wieder an, und so blieb es für den Rest des Abends.
Kapitel 10: Vor fünf Jahren
Im Sommer musste Renés Dünndarm verkürzt werden, denn er war ständig entzündet gewesen. Außerdem bekam er seinen zehnten Stent eingesetzt. Er litt immer noch unter Durchfällen mit Schleim- und Blutabgang, und seine Heißhungerattacken machten ihn allmählich böse. Von Astronautenkost allein wurde er nicht mehr satt, und sie hing ihm auch zum Hals heraus, weil sie ihn vom Geschmack und von der Konsistenz her an „Alienkotze“ erinnerte.
Claudia hatte das Zeug probiert und fand, dass es gar nicht so übel schmeckte. Das synthetische Himbeer- oder Salamiaroma war zwar gewöhnungsbedürftig, aber sonst … Im Grunde genommen verstand sie nicht, weshalb René sich dauernd darüber aufregte und grantelte: „Pfui Deifi, bäh, greisli! Nix für unguat, aber den Mampf kannst selber fressen.“
Wahrscheinlich ging es ihm gar nicht um das Gefühl, bei der unfreiwilligen Diät zu verhungern, jedenfalls nicht nur. Auch seine Gelenke machten ihm
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