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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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ihr immer schlechter, und sie fing an, Sterne zu sehen. Vor allem, als die Schwester ihr den Arm abband und sie aufforderte, eine Faust zu machen. Als die Frau ihr dann auch noch eine Kanüle reinjagen wollte, brauste ein wahrer Erinnerungssturm in ihr los. Einer, der sie in der Vergangenheit gezeichnet hatte und der auch heute noch ihr Leben beeinflusste. Einer, an dem sie seit bald 30 Jahren schwer trug. Gleich würde das Blut wieder wie ein wildes Wasser aus ihr herausspritzen, und es würde überall sein, überall … Und nicht nur das. Auch ihre Knochen würden brechen und zersplittern wie morsches Holz …
    Es ging nicht! Nein, es ging nicht!
    Mit einem halb erstickten Laut wand sie sich unter der Schwester hervor, riss sich den Abbinder vom Arm und stürmte dann aus der Halle, direkt zu ihrem Wagen hin. Während sie ihn startete, warf René sich auf den Beifahrersitz und redete wie wild auf sie ein. Aber was er sagte, verstand sie nicht.
    Weg, nur weg hier, egal, wohin!
    Also legte sie einen Kavalierstart hin und verließ mit quietschenden Reifen den Parkstreifen vor der Schule, die Wohngegend und die ganze verdammte Stadt.
    Nach einer endlos langen Irrfahrt durch die Walachei landete sie schließlich vor irgendeinem Kaff im Nirgendwo. Dort brachte sie den Wagen mit einer Vollbremsung zum Stehen, stemmte sich mit den Armen am Steuerrad ab und starrte zur Windschutzscheibe hinaus. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Sie sah nur die Dächer des nahen Dorfes, die gewellte Landschaft und den schmalen Ausschnitt der Landstraße, die auf beiden Seiten von niedrigen Hecken gesäumt wurde.
    Schließlich beugte sie sich über Renés Schoß zur Beifahrertür hinüber und öffnete sie.
    „Was wird das?“, fragte er.
    „Wonach sieht’s denn aus?“
    „Du willst mich auf die Straße setzen?“
    „Genau.“
    „Warum?“
    „Darum. In letzter Zeit hast du kein freundliches Wort mehr für mich übrig, nur noch beißenden Zynismus oder blanken Hohn. Den hattest du früher schon drauf, und manchmal mehr, als mir lieb war. Aber du warst auch offen und witzig und hast gewisse Grenzen nicht überschritten. Aber was du jetzt veranstaltest … Ich erwarte weiß Gott keine Dankbarkeit von dir, aber …“
    „Halt, stopp, jetzt bin mal ich dran“, sagte er. „Ich bin krank, ja, aber das macht mich nicht automatisch zu einem besseren Menschen, auch wenn du das gerne hättest. Ich weiß, dass ich mich oft unmöglich aufführe, und das tut mir auch leid. Ich hab mich nun mal verändert, und leider nicht zum Besseren. Aber das ist noch lange kein Grund, mich als Steinbruch zu benutzen.“
    Sie drehte den Kopf herum und sah ihn perplex an. „Wie bitte? Was mach ich?“
    „Du hast mich schon verstanden. Du hämmerst und sägst und pochst mit Hammer und Meißel an mir herum, und das nur, weil du Dankbarkeit ernten willst. Du bist richtig süchtig danach geworden. Ich hab aber keinen Bock mehr, für jeden Mist dankbar sein zu müssen. Ich bin es leid, mein Leben und meine Probleme mit dir zu teilen, und ich hab auch keine Lust mehr, mir deine ständigen Lösungsvorschläge anzuhören. Du bist ja immer so schlau! Das steht mir bis hier. Alles steht mir bis hier.“
    „Mir auch. Trotzdem darfst du mir gern ein bisschen Wertschätzung entgegenbringen. Das, was ich für dich tue und tun will, soll dir etwas wert sein. Weil es der größte Liebesbeweis ist, den ich dir geben kann und will.“
    „Liebesbeweis? Dass ich nicht lache! Du führst dich auf wie meine Mutter. Die hat mich auch fast zu Tode geliebt, und wenn’s mal nicht nach ihrem Willen ging, wurde sie immer grausamer. Gib’s zu: Am liebsten würdest du mich überhaupt nicht mehr auf die Beine kommen lassen. Weil dir meine Abhängigkeit von dir gefällt, weil du eine perverse Genugtuung daraus ziehst.“
    „Weißt du überhaupt, was du da sagst? Wenn du mich nur ein bisschen kennen und verstehen würdest, wüsstest du …“
    „Da hast du’s. Genau das hätte meine Mutter damals auch gesagt. Hast du nicht eine andere Version auf Lager, eine, die etwas weniger nach ihr klingt?“
    „Okay, das reicht jetzt, René. Mach, was du willst, aber ohne mich. Und jetzt raus hier!“
    Er ignorierte die Aufforderung und sagte: „In Wahrheit geht’s doch gar nicht um meine Verarsche vorhin oder um mein blödes Verhalten. Die Sache mit deinen Eltern macht dir zu schaffen, und der Anblick der Blutkonserven hat das Ganze wieder hochgebracht. Sie wollten sich damals

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