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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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die Gastroenterologie?“
    „Ja, die meinen wir“, sagte er.
    Daraufhin zog die Frau ein Telefon aus ihrer Kitteltasche und rief Hilfe herbei.
    Wenig später schob ihm ein anderes Mitglied der Trachtengruppe einen Rollstuhl in die Kniekehlen und breitete eine Decke über ihm aus. Dann wurde er gegen seinen Willen in die Klinik zurückgekarrt.
    Er wollte lieber seine eigenen Beine benutzen, wenn er Schwester Rosana unter die Augen treten musste, aber das war ihm nicht vergönnt. Natürlich wartete die Oberzicke schon auf ihn, als sich die Fahrstuhltüren mit einem Wusch öffneten. Und ebenso klar war, dass ihr als heißblütiger Spanierin die Empörung ins Gesicht geschrieben stand. Auch ihre Gefolgsleute schüttelten tadelnd die Köpfe, als sie ihn erblickten.
    „Herr Doktor Sommerfeldt“, sagte sie mit diesem rollendem R in der Stimme, das wie eine Kreissäge schrillte. „Das ist ja eine Überraschung. Schön, dass wir uns auch mal wieder sehen. Wir haben wohl einen kleinen Ausflug gemacht, stimmt’s? So was hatten wir hier lange nicht mehr. Wie hat es uns denn gefallen? Hatten wir viel Spaß dabei?“
    „Es geht so“, sagte René und wollte noch etwas Spöttisches hinzufügen. Schließlich konnte man sich mit oder ohne Selbstironie bis auf die Knochen blamieren, und er hatte soeben beschlossen, es mit zu tun.
    Aber schon im nächsten Moment stockte ihm der Atem, denn es kam ihm so vor, als habe er den Mann, mit dem Claudi früher verheiratet gewesen war, am anderen Ende des Korridors gesehen. Er war sich nicht ganz sicher, aber die große Gestalt und der wehende Mantel deuteten darauf hin. Als er dann noch eine vertraute Stimme in der Ferne vernahm, war die Sache klar: Das war Claudi, die da sprach, wahrscheinlich hinten im Aufenthaltsraum. Sie war endlich wiedergekommen. Daran bestand nicht mehr der geringste Zweifel.
    Am liebsten hätte er sich trotz seiner Schmerzen und der Scham auf die Beine gestemmt und wäre zu ihr hingelaufen. Aber Schwester Rosana, die er im Geiste wegen ihrer charmanten Art Schwester Rabiata nannte, bestand darauf, ihn in sein Zimmer zurückzufahren, um ihn dort neu einzukleiden und ins Bett zu stecken. Und obwohl sie als Pflegedienstleiterin eine viel beschäftigte Frau war und mit ihrer Zeit haushalten musste, übernahm sie das höchstpersönlich.
    Nachdem sie ihn lange genug schikaniert und bis aufs Blut gequält hatte, verließ sie endlich den Raum, um einen Arzt zu holen, damit der nach ihm sah. Es fehlte nicht viel, und sie hätte ihn vorher noch an sein Bettgestell gekettet.
    Kaum war sie weg, stand René auf, hängte sich seinen Bademantel über die Schultern und machte sich mit dem Infusionsständer bei Fuß erneut auf den Weg. Er musste unbedingt wissen, was der andere Mann in Claudis Leben im Schilde führte.
    Als er beim Aufenthaltsraum ankam, lugte er vorsichtig um die Ecke, um die Lage zu erkunden. Claudi und der Mann, dieser Theo oder wie er hieß, standen dicht beieinander und blickten sich in die Augen. Claudis Gesicht sah angespannt und geschwollen aus, so, als habe sie gerade geweint. Der Mann hielt die schlafende Mia auf dem Arm und schuckelte sie hin und her, damit das auch so blieb. René wünschte, die Kleine würde ihm einen Schwall Muttermilch über den Bauch rotzen, aber leider tat sie ihm nicht diesen Gefallen.
    „Ehrlich gesagt hab ich die beiden ziemlich angefaucht“, sagte Claudi. „Ich hab das Gefühl, dass sie mich die ganze Zeit hinhalten und verarschen. René kämpft so hart, aber es geht ihm immer schlechter. Er hat jetzt Wasser im Bauch und Krampfadern in der Speiseröhre, und neuerdings ist er auch ganz wirr im Kopf. Allerdings ist er nicht so durcheinander, dass er nicht mitbekommt, was mit ihm passiert. Mittlerweile hab ich richtig Angst, dass er sich was antut. Ausgerechnet er, der uns nie allein lassen würde. Das hab ich Wallin und Özil auch gesagt: Wenn das hier nicht bald vorangeht, springt er vom Klinikdach.“ Sie brach ab und fing an zu weinen. Dann sagte sie: „Es tut mir leid, Leo. Ich hadere nur gerade mit meiner Rolle als Angehörige. Dabei muss ich doch die Nerven behalten. Ich darf nicht zusammenklappen, sonst geht hier alles den Bach runter.“
    Renés Herz pochte wie wild gegen die Rippen, als er das hörte. Einerseits war er zutiefst betroffen, dass Claudi hinter seinem Rücken mit den Ärzten gesprochen hatte und die auch noch darauf eingegangen waren. Mit Datenschutz hatten die Damen und Herren hier wohl nichts am Hut.

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