Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
„Ich wünschte, ich könnte es ablehnen, aber die Wahrheit ist: Ich will leben, und wenn ich dein Angebot nicht annehme, werde ich es nicht schaffen. Das ist meine letzte Chance, fürchte ich.“
„Du wirst leben, mein Schatz, keine Sorge. Aus der Nummer kommst du nicht mehr heraus.“
„Aber es ist doch verrückt, dass du erst krank werden musst, damit ich die Chance hab, gesund zu werden.“
„Eine tragische Ironie, zugegeben. Aber denk mal an die Alternative. Außerdem muss ich nicht krank werden, sondern ich darf krank werden. Genauso wie wir uns nicht gegen etwas entscheiden, sondern für etwas.“
„Das ist nicht von dir, gib’s zu.“
„Stimmt, das hab ich irgendwo gelesen. Aber es ist das, was ich fühle.“
„Also, ich fühl mich im Moment einfach nur beschissen“, sagte René. „Aber ich weiß auch, dass wir handeln müssen, weil es sonst zu spät ist.“
Ich möchte leben, mit dir, für dich, durch dich, sagten seine Augen. Aber das ist alles so schrecklich kompliziert, so vollkommen absurd …
Claudia war tief bewegt, denn sie merkte, dass da etwas in ihm schwach wurde, auseinanderfloss, breit lief. Endlich, endlich wollte er ihr erlauben, für ihn da zu sein. Wie lange hatte sie von diesem Zeitpunkt geträumt und ihn sich immer wieder ausgemalt. Und nun war er da.
Das Spiel war zu Ende und stand doch gerade erst vorm Anfang.
„Okay, ich hab einen Vorschlag“, sagte sie schließlich, berührte ihren Pferdeschwanz und lachte, wenn auch etwas zittrig. „Wir ziehen das Ding jetzt durch, und im Gegenzug bleibt der Zopf dran. Mein Zopf, meine ich, nicht der andere. Der kommt ab.“
René sah sie eine Weile an. Dann nickte er.
Die Doktoren Wallin und Özil waren schwer begeistert, als Claudia und René sie am nächsten Tag aufsuchten und mit ihnen über ihr Anliegen sprachen. Ihre Augen leuchteten richtig auf, als sie die frohe Botschaft vernahmen, und wenn Claudia sich nicht täuschte, entdeckte sie dabei ein kleines habgieriges Glitzern in ihren Pupillen, so, als würden sie hinter ihrem Rücken bereits Mammon zählen. Als kaufmännisch Geschulte wusste sie natürlich, was in ihren Köpfen vor sich ging: Jetzt konnte die Klinik das Geld für zwei Operationen einstreichen, nicht nur für eine. Von ihren persönlichen Reputationen ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass sie Feuer und Flamme waren.
Geschenkt.
Nachdem die beiden ihr grundsätzliches Okay gegeben hatten, kam einiges auf Claudia zu. Als potenzielle Spenderin musste sie im Prinzip die gleichen Schritte durchexerzieren, die auch René als Empfänger machen musste, bevor er auf die Transplantationsliste gesetzt worden war. Sie wurde sogar für ein paar Tage stationär aufgenommen, damit man sie vermessen, durchleuchten, wiegen und beurteilen konnte. Ein Termin jagte den nächsten, und dabei ging es zu wie auf einer Schnitzeljagd: Vorstellung in der LTX-Ambulanz, CT, MRCP, EKG, Lungenfunktionsprüfung, Knochendichtemessung, Vorstellung in der Neurologie und Radiologie sowie in der Zahn-, Augen, HNO- und Hautklinik, Gespräch mit dem Anästhesisten, Eigenblutspende, und … und … und …
Es dauerte ewig, bis sie ihren Laufzettel endlich abgearbeitet hatte, und das Ergebnis lautete: Körperlich war sie gesund, ihre Leber war ein Prachtstück und ihre Blutwerte riefen sogar helles Entzücken hervor. Nur in der Zahnklinik gab es Probleme: Da musste ihr ein vereiterter Backenzahn gezogen werden, und das tat höllisch weh.
Blieb noch die Aussprache mit einer Psychologin und die Inquisition der Ethikkommission. Aber auch damit wurde Claudia spielend fertig, denn als geborene Verkäuferin konnte sie jedem alles schmackhaft machen. Sie hatte sogar den Eindruck, dass sie dort schon den Clown hätte spielen müssen, bevor ihre Einwilligungsfähigkeit angezweifelt worden wäre.
Im Laufe des Gesprächs wurden ihr von den Kommissionsmitgliedern im wahrsten Sinne des Wortes Löcher in den Bauch gefragt: Befand sie sich auch nicht in einem Hörigkeits- und Abhängigkeitsverhältnis zu René? (Was für eine Schwachsinnsfrage? Natürlich tat sie das.) Zwang er sie gar zur Spende? Wollte er ihr Geld dafür aufnötigen? Litt sie vielleicht unter einem überbordenden Helfersyndrom und bildete sich nur ein, dass sie spenden wollte, und in Wirklichkeit wollte sie es gar nicht? Hatte sie sonst irgendwelche psychischen Probleme?
Im Grunde genommen waren das lauter peinliche bis idiotische Fragen, die man einer Psychologin, einem Richter und einem
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