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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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Ledergürtel
    3.   1 Oberhemd, schwarz
          …
    29. 1 Geldbetrag von 0,01 DM/DBB
    30. 1 Geldbetrag von 330,32 M“
    Nachdem ich diese Liste unterschrieben hatte, gaben sie mir noch zwei alte dunkelgraue kratzige Decken, blau-weiß karierte Bettwäsche, einen Schlafanzug, Waschzeug sowie Teller, Messer und Löffel aus Plastik. Keinen Blechnapf!
    „Mitkommen!“
    Weiter ging es in den Zellentrakt. Nur einige Türen weiter zeigte der Wärter auf eine offene Zelle.
    „Da rein!“
    Die Tür fiel krachend ins Schloss, ich war allein. Seit über zweieinhalb Jahren erlebte ich diese unfassbare Geschichte, die nun einen weiteren Tiefpunkt erreicht hatte. Was konnte noch kommen? Diese absurde Geschichte kann doch gar nicht wahr sein. Das ist nicht die Wirklichkeit. Ich gehöre nicht hierher, bin gegen meinen Willen verschleppt worden! Was nahmen diese Verbrecher sich heraus? Wut und abgrundtiefe Verzweiflung stieg in mir hoch.
    In der Zelle befanden sich eine Holzpritsche mit einer dreiteiligen Seegrasmatratze, ein kleiner Tisch und ein Hocker. Gleich neben der Tür das Klobecken, daneben ein Waschbecken mit einem Wasserhahn. Kalt. Ein kleiner Spiegel, direkt in die Kacheln eingelassen. Die Wände waren grau, das Fenster bestand nur aus Glasbausteinen. Man konnte nicht hindurchsehen, nur Tag und Nacht waren zu unterscheiden, man erkannte nicht einmal, ob es regnete. Es war stickig, ich wollte irgendwie frische Luft hereinlassen. Im „Fenster“ war nur eine Lüftungsklappe Ich kippte sie an; die Wirkung war gleich Null. In der Tür in Kopfhöhe ein Guckloch, das von außen mit einer kleinen Klappe verschlossen war. Hinaussehen ging also nicht. In Bauchhöhe eine Klappe für das Essen. Über der Tür eine Glühbirne hinter Plexiglas. So sieht also eine richtige Gefängniszelle aus. Sehen ist das eine, Verstehen das andere. Das ist kein Film, keine Reportage, keine Besichtigung! Ich bin der Zelleninsasse!
    Ich warf mich auf die Pritsche, heulte. Das war das Ende. War das das Ende? Wie sollte es weitergehen? Wie ging es meinen Eltern? Was wird aus uns werden? Wie ging es meinem Bruder? Wie sollte er erfahren, wo ich bin? Das war‘s jetzt, das Leben. Das wird sich nie mehr ändern. Das endet überhaupt nicht mehr. Und selbst, wenn ich hier wieder raus kommen würde: Müsste ich nicht früher oder später wieder hier landen, weil ich mit dem Leben draußen in der DDR nicht klar kam?
    Die Klappe ging auf. Eine Hand legte ein Heft hin. Die Haftordnung. Lauter Vorschriften. Gab es auch Rechte? Sah nicht so aus. Lesen. Warten. Stille. Dann wieder Geräusche. Wenn man nur ganz wenig zu sehen hat, wenn sich die Sinne langweilen, dann hört man plötzlich jedes Geräusch. Schritte kommen näher, entfernten sich wieder. Schlüssel klappern. Hin und wieder quietschen ein paar Riegel, Gitter werden zugeknallt. Ich war wohl doch nicht der Einzige in diesem Gefängnis. Aus dem Augenwinkel sah ich eine kleine Bewegung. Ein Auge erschien im Spion. Nur kurz. Das wiederholte sich. Alle paar Minuten. Sonst geschah gar nichts. Zwischendurch Stille.
    Nach Stunden, gegen Abend, wurde knallend die Tür aufgerissen.
    „122, komm‘se!“
    „Da lang!“
    Es ging lange Gänge entlang. Kurz vor der Ecke musste ich stehen bleiben: „Gesicht zur Wand!“ Der „Läufer“ schaute um die Ecke, ob die Luft rein war. Immer wieder machte er rotes Licht dort an, wo er mich entlangführte. Erst nach ein paar Tagen hatte ich begriffen, dass diese seltsamen Rituale nur einem Zweck dienten: Kein Häftling sollte je einen anderen zu Gesicht bekommen. Am Ende des Zellenganges öffnete sich eine Stahltür, dahinter ein Zimmer, in dem nur ein Tisch und ein Stuhl standen. Hinter einer vergitterten Luke, im Nachbarzimmer, saß ein Mann, der sich als der Haftrichter vorstellte und mir mitteilte, dass er Haftbefehl gegen mich erlassen habe. Durch das Gitter hindurch!
    „Der Beschuldigte Thomas RAUFEISEN ist dringend verdächtig, seit mehreren Monaten im Zusammenhang mit seinem, in einem besonderen Verpflichtungsverhältnis stehenden Vater, Armin RAUFEISEN, die Verbindungsaufnahme zu ausländischen Organisationen sowie deren Helfer mit dem Ziel des ungesetzlichen Grenzübertritts und der Schädigung der Interessen der DDR vorbereitet zu haben.“
    Der Haftbefehl war vom Militär-Obergericht erlassen worden. Was hatte ich mit dem Militär zu tun? Ich, ein 18-Jähriger aus Hannover, der nach Hause wollte? Falls ich noch eine letzte Hoffnung gehabt haben sollte,

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