Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
dass es sich nur um einen Irrtum handeln würde, dann war auch die nun verflogen. „Militär-Obergericht“ klang nicht nach Irrtum oder bloßer Einschüchterung. Danach ging es zur „erkennungsdienstlichen Erfassung“. Die bekannten „Verbrecherfotos“ wurden gemacht: von vorn, im Profil und im Halbprofil, danach meine Fingerabdrücke genommen.
Die Nachtruhe wurde durch die Klingel angekündigt. Jeder Häftling musste sich bettfertig machen. Irgendwann erschien das Auge im Spion, das Licht in der Zelle verlosch. Es wurde noch stiller. An Schlafen war nicht zu denken. Ich deckte mich zu und rollte mich zusammen. Es dauerte nicht lange und das Licht über der Tür ging wieder an.
„Schlafhaltung einnehmen!“
Auf dem Rücken liegen, die Hände sichtbar auf der Decke. Wie sollte ich so schlafen? Immer wieder, alle paar Minuten, erschien das Auge, das Licht über der Tür flammte jeweils für drei bis vier Sekunden auf.
Irgendwann war die Nacht dann doch rum. Licht an. Klingeln. Aufstehen. Bett machen. Abwarten. Ich hörte immer näher kommende Geräusche. Die Klappen in den Türen wurden geöffnet und nach einer kleinen Weile wieder geschlossen. Dann wusste ich: Bald würde sich auch meine Klappe öffnen. „Becher, Teller!“ Ein eklig riechendes braunes Gebräu wurde aus einer großen Blechkanne in den von mir hinaus gereichten Becher gegossen. „Muckefuck“, Malzkaffee, hatte ich noch nie gemocht, schon gar nicht in der hier sehr zweifelhaften Qualität. Auf dem Teller landeten zwei Scheiben Brot, Margarine, Marmelade. Ich hatte keinen Appetit. Nach einer halben Stunde ging die Klappe wieder auf, ich musste alle Reste rausgeben. Dann wartete ich und wartete, hörte darauf, ob woanders aufgeschlossen würde, hoffte vor Langeweile sogar, dass ich vielleicht selbst zum Verhör geführt würde . Und das schon am zweiten Tag: Die Sehnsucht nach dem Vernehmer, nach einem Menschen, der mit mir spricht!
Riegel krachten. „Freigang! Raustreten!“
Durch den langen Flur ging es nach draußen. In meinem unförmigen blauen Trainingsanzug und den Filzpantoffeln. Werde ich jetzt noch andere Häftlinge sehen? Mir gingen Bilder aus amerikanischen Knastfilmen durch den Kopf. Hier war es anders. Durch eine Tür betrat ich einen etwa 6 Meter langen und 3 Meter breiten Hof. Grauer Betonboden. Grau verputzte Betonwände. Ca. 3 bis 4 Meter hoch. Oben offen. Nicht ganz: Ein Maschendraht war über den Raum gespannt. Endlich frische Luft! Aber nur ein Stückchen Himmel war zu sehen. Wollten die verhindern, dass ich wegfliege? Auf einem Laufgang oben patrouillierte eine Uniform mit Reiterhose und schwarzen, glänzenden Stiefeln mit langem Schaft, bewaffnet.
Eine halbe Stunde. Im Kreis laufen, wenden, ein paar Kreise in die andere Richtung. Kniebeugen, ein paar Mal hochhüpfen, wenn die Uniform gerade nicht über mir stand. Man kommt sich albern vor, wie ein Insekt im Glas, das Hampelmann macht.
Nach dem Freigang ging das Warten weiter; Warten auf das Klappern, wenn das Mittagessen kam. Ein zähes Stück Fleisch, Kartoffeln, Soße. Als Besteck besaß ich nur einen Plastiklöffel und ein Plastikmesser. Fleisch schneiden. Erster Versuch: Knack, der Löffel brach. Den Knopf neben der Tür drücken, draußen leuchtete dann ein Licht über der Tür. Klappe. Neuer Löffel. Zweiter Versuch: Knack. Das Gleiche nochmal. Dritter Versuch: Knack. Das Gleiche nochmal. Langsam klappte es irgendwie. Nach einer Weile öffnete sich die Klappe wieder. Essenreste rausgeben. Klappe zu. Wieder warten und warten. Gegen Abend Klappe wieder auf. Abendessen. Zwei Scheiben Brot, ein Klecks Margarine, eine Scheibe Wurst. Dazu ein Becher undefinierbaren Tees. Klappe zu. Klappe wieder auf. Reste abgeben. Klappe zu. Warten. Die Klingel. Das Bett vorbereiten, umziehen, auf die Pritsche legen. Leise Schritte kamen näher. Das Licht wurde endlich ausgemacht, das war dann die Nachtruhe. Kontroll-Licht an, Kontroll-Licht aus. So sah der Alltag aus. Das Essen war für DDR- und Knastverhältnisse vergleichsweise gut. Es gab Sachen, die man draußen nicht bekam. So viele Brotsorten habe ich draußen jedenfalls nie gesehen. Vollkornbrot, Mischbrot, Weißbrot, verschiedene Sorten Knäckebrot.
Alltag heißt im Knast wirklich „alle Tage“. Es gab keine Variationen, keinen Tag frei, keine Abwechslung – außer der Vernehmung. In den ersten Wochen wurde ich mehrmals pro Woche verhört. Allerdings nicht mehr nachts, nur noch am Tage. An einem Vernehmungstag wurde
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