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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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aber auch psychisch am Ende. Ich gab zu, dass wir in den Westen flüchten wollten. Sie erweckten immer den Eindruck, dass sie mehr wüssten. Zu dritt hatten wir sowieso keine Chance, unser Fluchtpläne zu verheimlichen. Dafür waren die Vernehmer zu ausgekocht. Um 9 Uhr am Morgen war das erste Verhör beendet. Es sollten noch sehr viele folgen. Glücklicherweise wusste ich das aber noch nicht. Wer weiß, was ich sonst getan hätte, wenn ich gewusst hätte, was die nächsten Jahre bringen würden.
    „Sie werden jetzt woandershin gebracht.“
    Der Weg führte wieder auf den Hof, wo ich aus dem „Lada“ gestiegen war. Diesmal stand dort ein „Barkas B 1000“ mit einem Kastenaufbau. Das war ein Kleinbus aus DDR-Produktion, etwa im Format eines VW-Busses. Auf dem hellgrau gestrichenen Kastenaufsatz konnte ich eine Werbeaufschrift der Firma „Rewatex“ sehen, das war eine Großwäscherei in der DDR. Soll ich etwa in einem Wäschereifahrzeug irgendwo andershin gefahren werden? Die Werbung war reine Tarnung. Innen waren fünf einzelne kleine Zellen eingebaut, jede nicht größer als eine kleine Besenkammer. Keine Fenster, kein Licht, jeweils ein kleiner Sitz. Zuerst legten mir die Wärter Handschellen um. Handschellen! Wie einem richtigen Verbrecher!
    „Bei einem Fluchtversuch machen wir von der Schusswaffe Gebrauch!“ Man kennt ja noch die Geschichten aus der Nazi-Zeit: „auf der Flucht erschossen…“ Ob es so etwas auch in der DDR gibt?
    Meine Knie stießen an die gegenüber liegende Wand, so eng war es. Die Tür knallte zu, es war stockdunkel. Außer mir stiegen noch zwei weitere Gefangene zu. Ich konnte sie einsteigen hören, spürte das Absenken des Wagens zur Seite; aber ich konnte die anderen nicht sehen. Ob das meine Eltern waren? Ich traute mich nicht, laut zu fragen. Die Fahrt ging los. Ich konnte nicht sehen, wohin. Der Wagen rumpelte hin und wieder über Kopfsteinpflaster oder auch Straßenbahnschienen. Irgendwann hielt das Auto, aber nur kurz. Ich konnte hören, wie ein Tor geöffnet wurde, durch das wir durchfuhren. Das wiederholte sich in kurzen Abständen noch ein paar Mal. Wir befanden uns auf irgendeinem eingegrenzten Gelände. Ein paar kleine Kurven wurden genommen. Das Auto hielt an, der Motor verstummte. Wir waren angekommen. Standen in einer kleinen Halle. Das hörte man. Ein Tor schloss sich geräuschvoll. Militärisch klingende Befehle wurden gerufen.
    Erst sehr viele Jahre später, in den neunziger Jahren, erfuhr ich, wo ich damals hingebracht worden war. Es war das zentrale Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen.
    Plötzlich wackelte das Auto, die kleine Tür wurde aufgerissen. Ein Wärter in Stasi-Uniform nahm mir meine Handschellen ab.
    „Komm’se!“
    Ich quetschte mich aus der kleinen Besenkammer heraus und war erst einmal geblendet. Der Raum, einer großen Garage ähnlich, war mit sehr vielen Neonröhren extrem hell ausgeleuchtet. Ich kam aus der finsteren Mini-Zelle und sah erst mal gar nichts.
    „Gehn’se!! Hopp, hopp, schneller!!!“
    Wie ein Verbrecher wurde ich ein paar Stufen hoch in einen langen Gang gescheucht. Überall brannten rote Lampen. Ich sah nur einige uniformierte Wärter, keine anderen Gefangenen. War ich etwa der einzige Gefangene hier?
    Am Ende eines langen Ganges musste ich durch eine dicke Stahltür gehen. Dahinter konnte ich schon die typischen Zellentüren eines Gefängnisses erkennen. Gleich links hinter der Tür ging es in eine Zelle mit einem Tresen. Dort folgte ein entwürdigendes Ritual:
    „Ausziehen!“ Ich zog mich bis auf die Unterwäsche aus.
    „Alles ausziehen! Bücken!“
    Sie schauten in alle Körperöffnungen. Alle persönlichen Sachen wurden mir abgenommen, Uhr, Portemonnaie, alles. Statt meiner eigenen Sachen musste ich nun Anstaltskleidung anziehen. Einen blauen Trainingsanzug, eine blau-weiß gestreifte Unterhose, eine ebenso gestreiftes Hemd (es sah fast aus wie ein modisches Fischerhemd), ein paar verfilzte dunkelgraue Socken und braun-gelb karierte Filzpantoffeln. Nichts passte richtig, ich sah komplett lächerlich aus. Während ich diese Sachen anzog, listete einer der Wärter all meine Sachen akribisch in einer sogenannten Effektenaufstellung auf.
    „Effektenaufstellung:
    Von dem Beschuldigten RAUFEISEN, Thomas, geb. 16.07.1962, wurden bei seiner Einlieferung in die Haftanstalt folgende Effekten in Verwahrung genommen.
    1.   1 Rauhlederjacke, braun
    2.   1 Jeanshose, blau mit

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