Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
ich nach dem Frühstück von einem sogenannten „Läufer“ aus der Zelle geholt. Wieder ging es lange Gänge entlang durch den Zellentrakt. Eine Treppe hoch. Hinter einer Stahltür ein weiterer Gang mit vielen Türen. Der Läufer stoppte an einer Tür, klopfte und öffnete. Sie waren von innen gepolstert. Dahinter befand sich noch eine gepolsterte Tür, die dann ins Zimmer führte. Bei diesen Doppeltüren konnte kein Geräusch nach innen und nach außen dringen. Welche Geräusche will man da einsperren? Schreie?
Ich hatte mit mehreren Vernehmern zu tun, die offensichtlich verschiedene Aufgaben hatten. Mein Hauptvernehmer war nicht viel älter als ich. Ich war damals 19 und schätzte ihn auf Mitte 20. 28 war er, las ich später in der Stasi-Akte. Er war Leutnant, trug aber zivil. Er hatte die Aufgabe des netten, freundlichen Vernehmers. Wie im Film: good cop/ bad cop. Dunkle, glatt am Kopf anliegende Haare. Ich war noch ein Jugendlicher, mehr mit Fußball vertraut als mit Mädchen – so wie viele in meinem Alter. Prompt war mein Vernehmer ein großer Fußballfan. Zur Auflockerung unterhielt er sich immer mal über die neusten Fußballereignisse mit mir. War er wirklich Fußballfan oder tat er nur so? Mein Misstrauen war groß. Auf jeden Fall hing an der Wand ein Wimpel seines Lieblingsvereins – BFC Dynamo. Bekannt als Stasi-Verein, unbeliebt im Volk. War das alles ein Zufall? Wollte er sich einschmeicheln bei mir und so meine Zunge lösen? Schwer zu sagen.
Der andere Vernehmer war ein ganz anderes Kaliber. Ein Hauptmann, älter natürlich, stechender Blick. Er hatte wohl die Aufgabe, mir meine ausweglose Situation klarzumachen.
„Wenn Sie nicht bereit sind mitzuhelfen, die Wahrheit, und zwar die ganze Wahrheit hier auf den Tisch zu legen: Wir haben Zeit, wir haben alle Zeit der Welt!“
Während der monatelangen Verhöre hatte ich tatsächlich häufiger das Gefühl, es würde bis an mein Lebensende so weiter gehen. Eine Schreckensvision: Lebendig begraben im Stasi-Knast!
Meistens hatte ich aber den jungen Leutnant vor mir. In den ersten Verhören versuchte ich noch möglichst wenig zu erzählen. Sehr schnell wurde mir aber auch klar: Sie hatten ja auch meine Eltern. Wir sind hier also zu dritt, die spielen uns sowieso gegenseitig aus. Alles, was wir gemacht hatten, würde rauskommen. Wirklich alles. Außerdem war unsere Wohnung viermal durchsucht worden, wo sie natürlich auch ein paar Kleinigkeiten über unsere Fluchtpläne finden konnten.
Aber sollten das Verbrechen sein? Sollten sie doch meinen Vater bestrafen, aber nicht mich! Ich will nur mein Recht. Die behandeln mich wie einen Verbrecher, obwohl ich nur nach Hause will, in meine Heimat. Dass ich auch Bürger und Behörden meiner Heimat um Hilfe gebeten hatte, empfand ich als das Normalste der Welt. In der DDR war ja niemand bereit, mir zu helfen, im Gegenteil, sie sperrten mich dafür ein. Natürlich ging der junge Vernehmer psychologisch auch sehr geschickt vor. Da hatte ich als unbedarfter Jugendlicher keine Chance. Einmal war er aber sehr plump, schon in einem der ersten Verhöre.
„Möchten Sie einmal mit Ihrem Bruder telefonieren?“
Was soll das denn jetzt?
„Klar, das würde ich gerne tun.“
„Wenn Sie mit ihm sprechen, müssen Sie ihm sagen, er solle doch mal hierher kommen, damit wir die ganze Wahrheit über diese Geschichte hören können!“
Der will doch tatsächlich, dass ich meinen Bruder in den Osten locke, damit er auch verhaftet werden kann. Für wie blöd hält er mich eigentlich?
Wie erging es meinen Eltern? Ende September, zwei Wochen nach meiner Inhaftierung, erhielt ich erste Briefe von ihnen. Darin versuchten sie, mir Mut zu machen und baten mich, durchzuhalten; alles würde nach dieser schweren Zeit wieder gut werden. Mein Vater riet mir und meiner Mutter, uns an das Anwaltsbüro von Wolfgang Vogel zu wenden. Der übernahm dann auch unser aller Mandate. In weiteren Briefen meiner Eltern wurde deutlich, dass sie sich besonders um mich Sorgen machten. Mein Vater schrieb unter anderem am 12. Oktober 1984:
„Inzwischen erhielt ich einen zweiten Brief von Mama, in dem sie mir ihre großen Sorgen besonders um Dich und Deine Zukunft klagte. Lieber Thomas, ich kann Dir hierzu nur sagen, dass ich mir hier auch darüber große Sorgen mache, aber ich kann Dir auch versichern, dass ich alles tun werde, was ich vermag um in der Beziehung noch alles zum Guten zu wenden.“
Was sollte er denn noch tun können? Das hätte er
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