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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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eine Jacke anzuziehen, da packten sie mich schon. Ich bekam zwar keine Handschellen angelegt, dafür aber eine Knebelkette um das linke Handgelenk. Eine Drehung würde reichen, mir das Handgelenk zu brechen. Damit konnten sie mich sehr dezent abführen. Zwei der Männer gingen mit mir, die anderen blieben in der Wohnung, wohl, um auf meine Eltern zu warten oder gleich die Wohnung zu durchsuchen. Vor der Haustür wartete ein „Lada“. So ähnlich hatte ich das ja ein paar Wochen vorher schon mal erlebt, ich spürte aber: Diesmal war es anders, diesmal würde es anders ausgehen. Das war keine Warnung mehr.
    Erst viele Jahre später erfuhr ich, auf welche Weise meine Eltern verhaftet wurden. Es lief ab wie in einem Krimi. Sie waren auf dem Rückweg von der Ostsee. Auf der Autobahn in Richtung Berlin wurden sie plötzlich von drei „Ladas“ der Stasi eingekreist. In diesem Moment hat mein Vater wohl noch daran gedacht, einfach Gas zu geben; gegen unseren „Audi“ hätten die zunächst einmal keine Chance gehabt. Aber wo sollten sie denn hin in diesem großen Gefängnis? Die „Lada“-Insassen machten unmissverständlich klar, dass mein Vater anhalten sollte. Der hintere Wagen fuhr mit Absicht ins Heck unseres Autos. Als alle standen, wurden meine Eltern aus dem Auto gezerrt, getrennt und jeder in einem anderen „Lada“ gesetzt. Einer der Stasi-Mitarbeiter übernahm das Steuer des „Audi“, und so ging es im Konvoi nach Berlin. Unser Auto haben wir nie wieder gesehen.
    Meine Fahrt ging nach Lichtenberg. Magdalenenstraße, Untersuchungshaftanstalt der Stasi. Vom Hof wurde ich in das Gebäude geführt. Warten auf einem Sofa. Inzwischen war es 8. Kulenkampff würde gleich ohne mich anfangen. Das folgende Verhör sollte dann dreizehn Stunden dauern.
    „Sie wissen, warum Sie hier sind?“
    „Das müssen Sie mir schon sagen. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.“ Diesmal würde es nicht so glimpflich ausgehen wie ein paar Wochen zuvor. Ich fragte mich nicht nur in diesem Moment, sondern in all den folgenden Tagen, Wochen, Monaten und Jahren, was das Ganze sollte? Warum bin ich denn hier? Nur, weil ich zurück in meine Heimat wollte! Ich wollte doch nur nach Hause! Das ist doch mein Recht! Es kann doch nicht sein, dass sie mich deswegen einsperren! Was soll ich hier? Ich fühlte mich völlig fehl am Platz; aber eigentlich ging mir das ja schon über zweieinhalb Jahre so. Der schlechte Film ging immer weiter. Ein neuer Tiefpunkt war jetzt erreicht, der Tiefpunkt schlechthin. Was würde mich und auch meine Eltern in der Zukunft erwarten? Gab es für uns überhaupt noch eine Zukunft? Ich war 19!
    „Sie wissen ganz genau, warum Sie hier sind! Sagen Sie es uns doch! Wir wissen, dass Sie uns etwas zu sagen haben! Meinen Sie, wir haben Sie ohne Grund hierher geholt?“
    Auf diese Art ging es immer weiter, stundenlang. Es waren drei Vernehmer, die sich immer mal wieder abwechselten, um sich selbst gelegentlich eine Pause zu gönnen. Ich habe in den dreizehn Stunden des Verhörs keine einzige Pause bekommen. Ich hatte keinen Ersatzmann. Irgendwann in der Nacht sagten sie mir auch, dass meine Eltern ebenfalls in Untersuchungshaft wären.
    „Ihre Eltern haben schon erzählt. Wenn Sie nun die Wahrheit sagen, bestätigen Sie nur die Aussagen Ihrer Eltern!“
    Der alte Trick. Aber wenn man selbst Teil des Spiels ist, ist die Sache komplizierter. Sollte ich das glauben? War das die Wahrheit oder logen sie mich nur an? Wenn meine Eltern wirklich unsere Fluchtpläne gestanden haben sollten, dann könnte ich mir ja das stunden, tage- oder vielleicht auch wochenlange Leugnen sparen. Dann hätte ich es einfacher.
    „Wir haben in Ihrer Wohnung Beweise für Ihre Aktivitäten gefunden! Es hat überhaupt keinen Sinn zu leugnen.“
    „Was für Aktivitäten meinen Sie?“
    Im Verlauf des stundenlangen Verhörs, ohne Pause, ohne die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, wurde ich immer unkonzentrierter. Meine Müdigkeit besetzte Zelle für Zelle in mir. Außerdem war ich so eingeschüchtert, wie man es sich nicht vorstellen kann, wenn man so eine Situation nicht kennt. Die Angst vor der Stasi, vor dem Gefängnis, vor der jetzt noch ungewisser werdenden Zukunft schnürte mir alles zu. Ab jetzt war ich allein; meine Eltern konnten mir keine Hilfe mehr sein. Ich fühlte mich dieser mir fremden Macht vollkommen ausgeliefert. Ich wurde immer verzweifelter.
    Irgendwann war ich soweit. Es muss morgens gegen 5 gewesen sein. Ich war körperlich,

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