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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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wenn man nicht gerade die Gelegenheit hatte, im Betrieb oder bei der „GST“ fahren zu lernen. „Gesellschaft für Sport und Technik“ klang erst mal harmlos, dahinter verbarg sich aber eine paramilitärische Jugendorganisation, die die vormilitärische Ausbildung an Schulen, Universitäten und in Betrieben organisierte. Das kam für mich nicht in Frage. Mein Vater meldete mich in einer privaten Fahrschule an und investierte dabei etwas von unserem Westgeld, so konnte das Verfahren erheblich beschleunigt werden. Ich konnte gleich anfangen. Schon Anfang August bestand ich die Prüfung.
    Mein Vater schaute sich meine Fahrkünste einmal an, dann ließ er mich mit unserem Audi 100 alleine losziehen. Das war natürlich etwas Besonderes, in der DDR so ein Fahrzeug zu fahren! Als Jugendlicher probiert man ja so einiges. Auf der Autobahn in der DDR war überall nur Tempo 100 erlaubt, der „Audi“ schaffte um die 200. Einmal habe ich es ausgekostet auf dem Berliner Ring. Bis auf der linken Spur ein Hindernis auftauchte: Ein Tatra, eine „Bonzenkiste“, fuhr mit 160, schneller konnte er wohl nicht. Er war mir zu langsam. Blinker links. Zunächst keine Reaktion. Erst nach 5 Minuten bequemte er sich auf die rechte Spur. Ich sah die versteinerten grauen Gesichter, als ich locker vorbeizog.
    „Audi“ fahren war auch immer ein Stück Heimat, laut Barclay James Harvest dazu, so konnte ich das Elend zumindest ein klein wenig vergessen. Das Auto fiel natürlich immer auf. Häufig wurden wir von der Polizei angehalten, gerade im Randbereich von Berlin. Sie dachten wohl, wir wären verirrte West-Besucher mit Tagesticket, die ja Ost-Berlin nicht verlassen durften.
    Im September 1981 sollte ich sogar noch ein Motorrad bekommen, eine nagelneue MZ ETZ 250, ein Sondermodell von der Leipziger Messe: silberne Lackierung, verchromte Schutzbleche, Scheibenbremsen! Am Morgen des 12. September konnte ich sie schon mal in einer Stasi-Garage besichtigen, irgendetwas sollte noch montiert werden, eine Woche später sollte sie vor unserem Haus stehen. Der Führerschein wäre sicher auch wieder kein Problem gewesen. Aber am Abend des 12. Septembers hatte dann ja die Stasi bei mir Sturm geklingelt…
    Mit Musik und Autos sah es also noch ganz gut aus – gemessen an den Möglichkeiten. Mädchen habe ich eher selten kennengelernt. Ich lebte zurückgezogen, wurde immer misstrauischer, fühlte mich einsam in dieser fremden unangenehmen Welt. Außer zu Peter und seiner Schwester Grit hatte ich kaum Kontakte außerhalb der Familie. Grit war nur eine gute Freundin. Als ich in der Ausbildung wegen meiner fast schon chronischen Magenkrankheit eine Zeit lang auf einen Schonplatz gesetzt wurde, in der Rechnungslegung, arbeitete dort auch ein Mädchen. Sehr attraktiv und auch interessiert an mir – aber ich habe mich wieder einmal lieber nicht darauf eingelassen. Einerseits wegen meines latenten Misstrauens, andererseits fürchtete ich Probleme, die sich aus unserer geplanten Flucht für eine Beziehung ergeben würden.

Untersuchungshaft II
     
    Die Verhöre in Hohenschönhausen liefen immer nach dem gleichen Schema ab. Morgens nach dem Frühstück wurde ich von einem Läufer aus der Zelle geholt und zum Vernehmerzimmer gebracht. Das Verhör dauert den ganzen Vormittag, dabei lief ein Tonbandgerät mit; ich hatte ein Mikrofon vor der Nase und der Vernehmer machte sich zusätzlich handschriftliche Notizen. Wochen- und monatelang ging das so. Zunächst häufiger, dann bald nur noch mittwochs. Sechs Tage in der Woche hatte ich „frei“, am Mittwoch wurde ich dann zur Vernehmung geholt.
    Die gut geschulten Stasi-Männer fanden natürlich alles heraus, wollten darüber hinaus aber auch alles über mein Leben wissen. Jedes Detail, auch aus Hannover. Zum Beispiel, warum wir so konsumorientiert wären, vom Westen so überzeugt sind, warum mich mein Vater nicht auf den richtigen Weg bringen konnte. Absurde Dinge! Ich hatte das Gefühl, es würde nie aufhören, auch wenn ich alles erzähle, was sie wissen wollten. Bei den Wohnungsdurchsuchungen hatten sie ja vieles gefunden, woran sie anknüpften: Zeitungsausschnitte meines Vaters aus dem SPIEGEL. Erstaunlicherweise eine ganze Menge auch über die DDR. Auch Artikel über Gefängnisse, über Bautzen II und politische Strafjustiz. Ich fand es schon erstaunlich, dass mein Vater da nicht schon vorher mal ein paar Sachen begriffen und eine gewisse Sicherung für sich selbst eingebaut hatte. Denn er hatte ja

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