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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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offensichtlich doch mit offenen Augen geschaut. Oder hatte er das alles als Propaganda abgetan? Solche Fragen beschäftigten mich auch während dieser Zeit. Diese Zeitungsausschnitte legten sie mir nun während der Vernehmungen vor. Da hatte ich zwischendurch wenigstens etwas zu lesen. Ich fragte immer nur: „Was hat das jetzt hier mit meiner Haft zu tun? Das muss ich mir erst mal genauer angucken!“ Die kleinen Freuden eines 19-Jährigen, der das Gefühl hatte, seinen Vernehmer auszutricksen, wenn er im Stasi-Knast SPIEGEL-Artikel las. Aber natürlich konnte ich sie nicht austricksen. Sie wussten zu viel, als dass ich irgendetwas hätte verbergen können. Woher sie ihre Hinweise hatten, war mir oft nicht klar: Von meinen Eltern, von Aufzeichnungen aus unserer Wohnung; waren wir etwa ständig observiert worden? Es gab Protokolle, wann wir die Grenze nach Ungarn überfahren hatten, wann wir die Bundesdeutsche Botschaft betreten und verlassen hatten. Woher kam das alles? Sicher habe ich auch zu viel erzählt; aber das Problem war ja, dass sie uns drei förmlich im Kreis jagen konnten. Wenn man sich nicht abstimmen kann, erfahren sie letztlich doch alles.
    Zum Mittagessen ging es wieder in die Zelle, danach wieder zurück. Nachmittags schrieb der Vernehmer das Protokoll, das ich danach lesen musste. Während er das Protokoll schrieb, durfte ich hin und wieder einen Extra-Brief an meinen Vater oder meine Mutter schreiben. Ich versuchte immer wieder, meinen Eltern meine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Jeder spielte jedem etwas vor. Diese Ungewissheit, diese Ohnmacht! Wie soll es mit uns bloß weitergehen? Ich hatte das Gefühl, mein Leben wäre zerstört, obwohl es noch gar nicht richtig begonnen hatte. Ohne mein Zutun bin ich in so eine verzweifelte Lage hineingeraten. Meine Eltern waren genauso hilflos und darüber auch sehr verzweifelt. Mir gegenüber gaben sie sich immer optimistisch. Aus den vielen Briefen, die sie untereinander schrieben und die ich erst heute lesen kann, ist zu erahnen, wie schlecht es ihnen ging.
    Besonders Ende Mai/Anfang Juni 1982, kurz vor Ende der Ermittlungen, gab es mehrere heftige Nackenschläge für meinen Vater. Während des gesamten Untersuchungsverfahrens wurden die Vorwürfe immer umfangreicher. Nicht nur, dass er wegen versuchter DDR-Flucht und illegaler Verbindungsaufnahme belangt werden sollte, im Mai kam als Höhepunkt noch Spionage dazu. Ihm wurde sogar unterstellt, er hätte geheime Informationen nur dafür gesammelt, um sie an „Vertreter fremder Mächte“ zu verraten. Spionage konnte damals auch noch mit der Todesstrafe geahndet werden. Und tatsächlich hatte er vorhandenes Wissen weitergegeben, möglichst wenig zwar, damit noch ausreichend Interesse bestand, uns da herauszuhelfen, aber immerhin.
    Bei meinem zweiten Anwalts-„Sprecher“ in der Magdalenenstraße bekam ich auch Dr. Vogel zu sehen, der ja unsere Mandate übernommen hatte. Ich war etwas überrascht, dass Vogel selbst kam. Ihn kannte ich bis dahin nur vom Namen. Es war weiterhin so, dass ich nichts über meinen Fall sagen durfte, da die Untersuchungen noch liefen. Vogel sagte mir dann auch, dass er auch noch meine Eltern jeweils einzeln sprechen würde. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass er da doch schon Näheres wusste. Er sprach sehr ernst darüber, dass es wirklich ein sehr ernstes Problem mit uns sei und dass man auch sehen müsse, wie es nach dem Urteil weiterginge. Nichts Konkretes also. Auch später nicht. Es kam höchstens zur Sprache, ob ich denn gut behandelt würde, ob ich Geld bräuchte. Auf jeden Fall erhielt ich noch ein paar Mark, so dass ich in U-Haft einkaufen konnte, Kaffee und Tee zum Beispiel. Aber das war im Prinzip alles. Ich war schon enttäuscht, denn ich hatte gedacht, dass der einflussreiche Dr. Vogel, dem ein besonderer Ruf vorauseilte, Entscheidenderes mitzuteilen hätte. Er war ja derjenige, der Ostdeutschen in den Westen verhalf, der den Häftlingsfreikauf organisierte und den Agentenaustausch. Aber da kam gar nichts. Dennoch war es gut, Vogel zu treffen. Man hatte zum ersten Mal seit Monaten das Gefühl, in diesem feindlichen Umfeld einem freien Menschen gegenüber zu stehen.
    Am Ende der Ermittlungen, im Frühjahr 1982, wurden meinem Vater und einige Zeit später auch meiner Mutter zwei Entscheide der Zollverwaltung der DDR vorgelegt. Der eine war ein Einziehungsentscheid über 48.500,- Mark der DDR und 7.400,- DM, die sie bei uns zu Hause gefunden hatten. Unser Geld

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