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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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die Klappe gereicht: das „Neue Deutschland“. Das war zwar nur das „Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“, aber immerhin. Meistens lasen wir die weißen Zwischenräume auf der Suche nach irgendwelchen Hinweisen, die sich auf unsere Lage beziehen konnten. Also Amnestien, Freikäufe oder Ähnliches. Das war natürlich Quatsch. Wenn ausgerechnet in dieser Zeitung so etwas drin gestanden hätte, wäre es garantiert nicht in unserer Zelle gelandet, die Zeitung wäre rein zufällig dieses Mal nicht gekommen. Ansonsten war der Informationsgehalt der DDR-Zeitungen äußerst dürftig, aber sie waren besser als nichts. Am Interessantesten waren die ganz klein gedruckten spärlichen Informationen über die Ergebnisse der Fußball-Bundesliga, ein kleiner Gruß aus der fernen, vertrauten, unerreichbar scheinenden Welt. Eine Bibliothek gab es auch im Knast und darin – mein Erstaunen war groß! – nicht nur streng linientreue Literatur, sondern alles, was es im DDR-Buchhandel gab. Im Verlauf der weiteren Monate habe ich sehr viele Bücher gelesen, so viele wie nie zuvor und auch später nicht mehr in meinem Leben. Immer freitags war Büchertausch – so wie wöchentlich die Wäsche gewechselt wurde. Ein Wärter schob dann im Flur einen Wagen entlang, öffnete die Klappe, man reichte ihm die gelesenen Bücher raus und empfing dafür neue – per Zufallsprinzip. Ich habe oft Reisebeschreibungen erhalten, so z.B. von Alexander von Humboldt oder auch von Mark Twain „Die Arglosen im Ausland“ und „Bummel durch Europa“.
    Ein besonderer Schatz waren Spiele, da diese nicht jede Woche weitergegeben wurden. Jeder Gefangene, der ein Spiel bekommen hatte, hütete es wie einen Schatz. Ich habe allerdings in meiner ganzen Haftzeit nur drei Spiele gehabt: Schach, Halma und Dame. Kartenspiele und Würfelspiele gab es nicht; meine Mitgefangenen erzählten, dies wäre verboten, da Gefangene ansonsten sofort anfangen würden, um Geld zu spielen. Um welches Geld? Wie konnte man nun in den „Besitz“ solch eines Spiels kommen? Ganz einfach dann, wenn der Mitgefangene nach Verurteilung in den Strafvollzug verlegt wurde und man ihn „beerben“ konnte. Manchen Gefangenen reichte das Spieleangebot nicht, sie bastelten sich ein Kartenspiel aus Zigarettenschachtel-Pappe. Die roten Zeichen wurden mit den Köpfen von Streichhölzern gemalt, die schwarzen mit dem Ruß der abgebrannten Streichhölzer. Die Streichholz-Schachteln wiederum waren gut für ein weiteres Spiel, das sogenannte „Schachteln“. Eine Streichholz-Schachtel wurde mit der Rückseite nach oben an die Tischkante gelegt, ein Teil überragend, und dann mit einem Finger nach oben geschnippt. Je nachdem, wie sie auf dem Tisch landete, gab es Punkte. Die meisten Punkte gab es, wenn sie hochkant auf der schmalsten Seite stehen blieb.
    Eine Streichholz-Schachtel erhielt man nun nicht so einfach von den Wachleuten geschenkt. Aber wenn man Raucher war und etwas kaufen durfte, war es einfach. Ich war eigentlich die ganze Zeit der Untersuchungshaft immer nur mit starken Rauchern in der Zelle. Ob das ein Zufall war? Für mich als Nichtraucher war es eine manchmal fast unerträgliche Belastung in diesen sehr schlecht belüfteten Zellen. Wenn man die Erlaubnis hatte, etwas zu kaufen, wurde alle zwei Wochen ein leerer Zettel und ein Bleistift hereingereicht, auf den man seine Wünsche schrieb; es kam dann vielleicht oder auch nicht. Das musste man natürlich bezahlen. Ich hatte bei meiner Verhaftung über 300 Mark in meinem Portemonnaie gehabt. Eine Menge Geld für DDR-Verhältnisse, fast 3 Lehrlings-Monatsgehälter. Mein Vater war sehr freigiebig mit seinem aufgesparten Agentenlohn gewesen. Es waren wohl das schlechte Gewissen und auch die Hoffnung, daß wir uns mit dem Geld wenigstens ein paar Freuden kaufen konnten, die ihn dazu veranlasst hatten. Außerdem wollten wir ja ohnehin weg aus der DDR. Dann hätten uns die 100.000 DDR-Mark auch nichts mehr genützt.
    Die 300 Mark aus meinem Portemonnaie wurden also registriert, der Einkauf entsprechend abgezogen. Ich habe mein Geld meistens in Schokolade und andere Süßigkeiten angelegt. Im Knast schmeckte sogar die pappige DDR-Schokolade, auch, wenn man eher Milka, Ritter Sport oder Sarotti gewöhnt war.
    Thomas, der sympathischere meiner beiden Mitgefangenen, blieb leider nicht lange; er wurde nach ein paar Wochen verlegt. Es hieß einfach nur „2, Sachen packen!“, es blieb kaum Zeit zum Verabschieden, und

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