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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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wurde also komplett beschlagnahmt, weil wir es bei unserem Fluchtversuch über Ungarn bei uns gehabt hatten. Nun waren wir komplett mittellos. Und nicht nur das. Sie wollten auch das Geld, das wir schon ausgegeben bzw. meinem Bruder mitgegeben hatten, also 51.500 DDR-Mark und 2.600 D-Mark, einziehen! Eine Frechheit! Damit waren wir für DDR-Verhältnisse extrem hoch verschuldet. Wie sollten wir das jemals zurückzahlen, noch dazu, wo wir hohe Freiheitsstrafen zu erwarten hatten?
    Diese Dinge spiegelten sich auch im Briefwechsel meiner Eltern wieder, wobei sie sehr vorsichtig formulieren mussten, damit die Briefe überhaupt ankamen. In Wirklichkeit war es wahrscheinlich noch schlimmer. Meine Mutter schrieb an meinen Vater:
    „Ich sehe für uns keine Zukunft mehr, aber für Thomas muss es doch weitergehen. Bei unseren Treffen nehme ich mich sehr zusammen; ich will nicht, dass Thomas ganz den Mut verliert. Wir können unseren Kindern nicht einmal das Selbstverständlichste bieten, nämlich ein Elternhaus; darüber werde ich nie hinwegkommen.“
    Es ist so bitter, dies nun, 30 Jahre später, zu lesen. Zu lesen, wie jeder von uns versucht hat, die eigene Verzweiflung vor dem Anderen zu verbergen.
    Ende Juni des Jahres 1982 wurde uns mitgeteilt, die Untersuchung wäre jetzt bald beendet und dann würden die Termine der Gerichtsverhandlungen festgelegt werden. Mein Vater schrieb zu dieser Zeit eine Art Bilanz seines Lebens:
    Berlin, 29.6.1982
    Abschlusserklärung
    … Aus meiner jahrzehntelangen Tätigkeit für den Aufbau der DDR war für meine nächsten Angehörigen und für mich eine Katastrophe erwachsen, die die schwärzesten Vorstellungen aller übertrafen und nun das genaue Gegenteil von dem waren, was ich mir nach Beendigung meiner Tätigkeit in der BRD vorstellen musste. Der entstandene Zwiespalt zwischen früherer Vorstellung über unsere Zukunft und der sich dann entwickelnden Gegenwart war meines Erachtens nicht zu überbrücken. Ich war mit der Tatsache konfrontiert, schuld daran zu sein, meinen Kindern die Heimat genommen zu haben, schuld daran zu sein, ihre berufliche Entwicklung und ihre Vorstellung von der Zukunft zerstört zu haben und nicht zuletzt auch schuld daran zu sein, an der unaufhaltsam beginnenden Auflösung der Familie nichts mehr ändern zu können. Eine Vorstellung, die schier unerträglich geworden war und die dann auch folgerichtig zu dem geführt hat, nämlich Handlungen zu begehen, die aus meiner Sicht alleine noch Aussicht auf Veränderung der Lage versprachen, aber auch folgerichtig zu einem Ergebnis geführt haben, das wir alle jetzt vor uns sehen. … Es musste unter allen Umständen verhindert werden, dass meinen Kindern und meiner Frau als Unbeteiligte ein Leben in der Zukunft bereitet wurde, welches sie nicht hinnehmen wollten und wozu ich sie auch nicht zwingen konnte und wollte. Meine anfänglichen Versuche, sie von der unabdingbaren Notwendigkeit des Lebens in der DDR zu überzeugen, mussten daher fehlschlagen. Sie mussten auch deshalb fehlschlagen, weil sie sich hintergangen fühlten, und zwar hintergangen in Dingen, die ihr eigenes Leben betrafen, da sie nun akzeptieren sollten, was sie nicht selbst verschuldet hatten und sie nun zu Außenseitern der Gesellschaft machten, die nicht mehr selbst über ihre Zukunft und ihr eigenes Leben entscheiden durften. …
    Ich musste es geradezu als meine Pflicht ansehen, alles in meinen Kräften Stehende zu tun, den Schaden, den jedes Familienmitglied erlitten hatte, zu mindern oder wenn möglich rückgängig zu machen.
    Die Motive meiner Handlungsweise entsprangen einzig und allein dem Bestreben, meiner Familie zu helfen, die sich durch meine Schuld in einer aussichtslosen Lage befand. Andere Motive hat es nicht gegeben. Dass meine Handlungen objektiv die Interessen der DDR verletzten, will und kann ich nicht in Abrede stellen. Die Güterabwägung, die ich bei beziehungsweise vor den jeweiligen hier im Untersuchungsverfahren untersuchten Handlungen anstellte oder auch nicht anstellte, sind meinerseits immer im Hinblick auf die Interessenlage der Familie entschieden worden, das heißt die Interessen der Familie standen bei mir immer an oberster Stelle.
    gez. Armin Raufeisen
     
    Ein bitteres Dokument des Scheiterns, das uns mein Vater da hinterlassen hat! Neun Monate lang waren wir nun schon in der Untersuchungshaft, das Ermittlungsverfahren wurde zum Abschluss gebracht. Was würde uns nun erwarten? Zunächst einmal ein besonderer

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